Bäume fürs Klima – Landnutzung im Fokus der Klimapolitik

 

Brewdog ist ein bekanntes und beliebtes Craft Bier aus Schottland, „Brewdog Punk IPA“ ist sein Flagschiff. Aldi UK hat sich durch eine Kopie des „Brewdog Punk“ (unter dem Namen „Anti Establishment IPA“) auf einen Streit mit Brewdog eingelassen, der schließlich in einer Kooperation endete. Nun verkauft Aldi UK Brewdog IPA. Aber das Besondere dabei ist, dass für jede verkaufte Dose des Aldi IPA ein Baum gepflanzt wird. Brewdog hat Land  in Schottland gekauft und legt dort seinen Brewdog Forest an. Und natürlich geht es dabei um Klimaschutz. Hatten die Sportschau-Trinker des biederen Krombacher noch mit Spenden für den Regenwald ihr Gewissen beruhigen müssen, ist der IPA trinkende Hipster nun auf der Höhe der Klimadebatte: Bäume pflanzen für das Klima scheint der große Trend der Gegenwart zu sein.

Das Pflanzen von Bäumen verbindet

Das Pflanzen von Bäumen (aber auch der Anbau von Pflanzen zur Energiegewinnung) ist mehr als ein Marketing Gag, es ist zu einem wichtigen Element der Klimapolitik geworden, ja vielleicht sogar zu einem „everybody‘s darling“. Bäume bringen Klimaaktivist:innen und Milliardär:innen zusammen. So wurde auf dem Weltwirtschaftsforum 2020 in Davos die Initiative lanciert, eine Billion Bäume zu pflanzen – und sogar der damalige US-Präsident Trump kündigte an, dies zu unterstützen. Statt mit Verzicht zu drohen, verbinden Bäume die Antwort auf die Klimakrise mit einer positiven Agenda. Bäume erwecken den Eindruck, dass die Lösung einfach sei und jeder etwas beitragen könne. Niemand behauptet, dass Pflanzen von Bäumen sei die einzige Lösung, aber Davos ist ein guter Indikator für die enorme Bedeutung, die das Narrativ „Bäume pflanzen für das Klima“ in den letzten Jahren gewonnen hat.
 

Baumpflanzungen für Klimaziele vorwiegend auf Flächen des globalen Südens

Nun wissen wir zwar, dass Bäume nicht in den Himmel wachsen, aber wir sollten auch nicht vergessen, dass Bäume auf Land wachsen. Klimapolitik wird damit zunehmend zu einem Faktor, der Landnutzung beeinflusst. Und dies gilt im besonderen Maße für den globalen Süden. Damit gerät Klimapolitik aber auch in den Fokus der schon bestehenden Konflikte um Land. Sicherung der Ernährung, Erhaltung von Lebensräumen und Biodiversität - all dies muss auf demselben Land erreicht werden, das nun auch der Klimapolitik dienen soll.

Dies erlangt aber seine Brisanz erst im internationalen Kontext. Denn heute schon nutzen wir in der EU Land im globalen Süden für unseren Lebensstil. Die europäische Tierhaltung ist in hohem Maße abhängig von Sojaimporten – für Fleisch und Käse in europäischen Supermärkten werden Flächen in Brasilien und Argentinien genutzt. Der WWF hat errechnet, dass die EU 30 Millionen Hektar außerhalb ihre Grenzen nutzt. 10 Millionen Hektar gehen davon auf Kosten des Sojaanbaus in Argentinien und Brasilien.

Globale Landnutzung wird nun zunehmend zu einer Dimension der Klimapolitik. Denn die Baumpflanzungen zur Erlangung von Klimazielen werden vorwiegend auf Flächen des globalen Südens erfolgen – also in Ländern, die nicht die Hauptverursacher des Klimawandels sind. Und so verwundert es nicht, dass dies zu einem der umstrittensten Punkte der internationalen Klimapolitik geworden ist.   

Für diese Debatte ist es zentral, die vielfältigen Dimensionen von Landnutzung im Blick zu behalten. Das beinhaltet eine unbequeme Wahrheit: Klimapolitik ist in Konfliktfeldern angesiedelt. Nicht alles, was klimapolitisch sinnvoll erscheint, ist auch aus sozialen und ökologischen Gründen erstrebenswert. Deshalb greift auch die Forderung nach „ambitionierteren Maßnahmen“ zu kurz. Ambitionen der Klimapolitik können durchaus negativen Folgen haben.

Diese komplexen und widersprüchlichen Gemengelagen sind nicht neu. Sie haben schon in der „Teller versus Tank“-Debatte eine Rolle gespielt. Aber inzwischen kommen neue Dimensionen hinzu, die Land in vieler Hinsicht in den Fokus der globalen Klima- und Umweltpolitik rücken.


Leitbild Klimaneutralität

Das Jahr 2019 war ein Jahr der Klimabewegung. Fridays for Future und die weltweiten Massendemonstrationen haben der Klimadebatte neuen Schwung verliehen. Die Feuer u.a. am Amazonas und in Australien haben die Bilder geliefert, um die Dringlichkeit einer Reaktion auf den Klimawandel ins Bewusstsein zu brennen. Die Politik musste reagieren, die Politik hat reagiert – wenn auch nicht den Forderungen der globalen Klimabewegung entsprechend. Aber wir haben nun ein Klimaschutzgesetz, einen (zu niedrigen) CO² Preis und vor allem ein langfristiges Ziel: „Treibhausgasneutralität“ bis 2050. Dasselbe Ziel wird auch im Green Deal der EU* verankert und unter dem griffigeren Namen „Klimaneutralität“ medial verbreitet.

„Klimaneutralität bis 2050“ ist nun eine zwar ziemlich weit in der Zukunft liegende – und damit von der Politik leichter zu handhabende - Perspektive. Gleichwohl ist damit eine nachvollziehbare und messbare Zielmarke verbunden, die in Deutschland und der EU erreicht werden muss und kann – unabhängig davon was in China, den USA oder anderen Ländern geschieht und gemacht wird. Anders als das auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris proklamierte globale Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, bietet Klimaneutralität eine konkrete Perspektive für nationale bzw. europäische Politik.
Klimaneutralität war als zentrales Leitbild nicht konkurrenzlos. Noch 2015 hatte sich die Staaten-Gruppe der Sieben (G7) auf ihrem Treffen im bayrischen Elmau „Dekarbonisierung“ als Ziel auf die Fahnen geschrieben. Spätestens seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 ist jedoch Klimaneutralität das neue Menschheitsprojekt. Das Abkommen hatte das Wort zwar noch vermieden, das Konzept aber formuliert.

Aber was sind die Unterschiede? Klimaneutralität heißt eben nicht Dekarbonisierung, also die CO²-Emissionen möglichst schnell und radikal runter zu fahren mit dem Ziel, Null-Emissionen zu erreichen ((Ein Rest von Emissionen etwa durch die Produktion von Lebensmitteln wird allerdings auch dabei anfallen).

Dass Klimaneutralität immer mehr zum zentralen Leitbild der Klimapolitik wird, ist kein Zufall: Es verankert die Idee der Verrechnung und Kompensation im Herzen der Klimapolitik. Klimaneutralität bedeutet nämlich,  CO²-Emissionen zu berechnen und zu verrechnen: Wir können die Fähigkeit von Pflanzen (insbesondere Bäumen), CO² zu binden und so der Atmosphäre zu entziehen, quantifizieren und mit dem Ausstoß von CO² aus fossilen Energien verrechnen. Zugespitzt gesagt: Wir haben zwei große Wege, die Klimaziele zur erreichen. Bäume pflanzen und den Ausstoß von CO² durch fossile Energien reduzieren. Schaffen wir es mit dem Ausstieg aus den fossilen Energien nicht ganz so schnell, können wir immer noch mehr Bäume pflanzen.


Land für Kompensationen statt für Ernährung

Diese Idee des Austauschs ist im Pariser Klimaabkommen verankert. Und mit diesem Detail, das von vielen übersehen worden ist, wurde tatsächlich das Tor für einen globalen Austauschmechanismus von Emissionen weit geöffnet. Emissionsziele können nämlich auch dadurch erreicht werden, indem Maßnahmen in anderen Länder finanziert werden. Dies wird im Artikel 6 des Abkommens festgelegt, dessen Präzisierung nun zu einem der umstrittensten Punkte in den Klimaverhandlungen geworden ist. 

Dies betrifft direkt den Landsektor des globalen Südens. Denn natürlich werden nur die reichen Länder des Nordens den Austausch von CO²-Reduktion nutzen. Und die Länder des Südens können Land anbieten: Land, dessen Nutzung dann nicht mehr der Ernährung der eigenen Bevölkerung dient, sondern dem Ausgleich für Emissionen aus dem Norden.

Glücklicherweise konnte auf dem Klimagipfel 2019 in Madrid keine Einigung über die Ausgestaltung von Artikel 6 erzielt werden. Zwar mehren sich inzwischen die kritischen Stimmen, doch die notwendige Debatte darüber, wie sich ein solcher internationaler Austauschmechanismus auf Landnutzung auswirken wird, steckt erst in den Anfängen.

Sinnvolles und Bedenkliches

Dabei sind Bäume nur der sichtbarste und populärste Teil einer neuen und immer wichtiger werdenden Tendenz in der Klimapolitik, die unter dem Namen Natural Climate Solutions (im Folgenden: NCS) oder auch allgemein als Nature Based Solutions firmiert. Naturbasierte Klimapolitik ist ohne Zweifel ein bedeutender Bestandteil globaler und lokaler Klimapolitik. So ist die Reduktion von Entwaldung (unter der Abkürzung REDD+) seit vielen Jahren Bestandteil der Klimaverhandlungen und auch in das Pariser Abkommen aufgenommen worden. In den letzten Jahren hat sich aber der Fokus von der Entwaldung auf ein breites Spektrum von naturbasierten Lösungen gerichtet. NCS ist kein klar definiertes Konzept, dennoch sind die Erwartungen enorm. Der Weltklimarat IPCC  hält es für plausibel, dass durch NCS etwa ein Drittel der Reduktion erreicht werden können, die bis 2030 notwendig sind, um – mit einer Wahrscheinlichkeit von 66% – das 2 Grad-Ziel zu erreichen.

Diese Zahl verweist sowohl auf die mit dieser Strategie verknüpften hohen Erwartungen, als auch auf die enorme Bedeutung des Landsektors für Klimapolitik. Problematisch bleibt, dass unter dem Label NCS Sinnvolles (wie die Reduzierung von Entwaldung) und Bedenkliches (wie großflächige Aufforstungen) verstanden werden können. Skeptisch macht auch, dass Konzerne NCS propagieren. Es ist ein schmaler Pfad, der hier sinnvolle Politik von einem Irrweg trennt.


Kompensation statt CO2-Reduktion: verlockend für den Verkehrssektor

Das Grundlegende aber ist, dass NCS als Ausgleich für ungenügende CO²-Reduktion im fossilen Bereich genutzt und missbraucht werden können. NCS sind, wie schon auch REDD+, als Finanzierungs- und damit als Kompensationsmechanismus in die Loge der Klimapolitik eingebettet.

Sie werden damit zu einer Hoffnung der Sektoren der Wirtschaft, die nicht von fossilen Energien wegkommen können oder wollen. Insbesondere im Transportsektor ist der Ansatz der CO²-Kompensation mittlerweile weit verbreitet.

Dies wird am Beispiel Flugverkehr anschaulich: Fast alle Fluggesellschaften bieten die CO²-Kompensation von Flugmeilen an. So kann bei Lufthansa ein Flug von Berlin nach London für nur 1,98 Euro kompensiert werden. „Ihre gepflanzten Bäume binden in 20 Jahren die angegebene Menge CO²“, versichert Lufthansa. Ein paar Bäumen pflanzen, um die Kontinuität des Flugverkehrs zu garantieren – statt Flugscham zu erleiden, können die Fluggäste sogar noch stolz auf ihre gute Tat sein.

Doch  wird hier nicht nur kein Gramm CO² reduziert; NCS werden dafür missbraucht, ein umweltschädliches Modell fortzuführen. Statt die Reduzierung des Flugverkehrs in den Mittelpunkt zu stellen, wird nun - verbunden mit einem Appell an das individuelle (Konsum)Verhalten, klimaneutrales Fliegen propagiert. Für die Fluglinien ist Kompensation der Königsweg, um ihr Geschäftsmodell fortzuführen. IATA, der Dachverband der Fluglinien, hat das Ziel verkündet, den Flugverkehr klimaneutral zu machen – und dabei gleichzeitig zu wachsen.

NCS sind so unmittelbar mit der Perspektive globaler Kompensationsmechanismen verknüpft. Auch deshalb sind die Konzerne der Erdölindustrie von den Vorschlägen der Flugindustrie so angetan: Was wir angeblich brauchen, ist ein „gut gestalteter Markt, in dem die CO²-Kompensation aus naturbasierten Lösungen gehandelt werden können“, so Arthur Lee, Klimaschutz-Berater des Chevron-Konzerns. NCS werden aus dieser Perspektive zum Kern eines die Klimazukunft gestaltenden globalen Tauschmechanismus.
 

Riskant und landraubend: Bio-Energie mit CO2-Verpressung

Hier kommt ein weiteres Konzept ins Spiel, das in den letzten Jahren für die Klimapolitik zentral geworden ist: negative Emissionen, sprich, das Entziehen von CO² aus der Atmosphäre. Dies kann nach heutigem Stand im Wesentlichen auf zwei Wegen erreicht werden. Durch Aufforstung und den massiven Ausbau des Anbaus pflanzlicher Energieträger – verbunden mit der Speicherung von CO² im Boden (BECCS). Das Kürzel steht für "Bio-Energie mit CCS“ (Carbon Capture and Storage, deutsch: CO²-Abscheidung und -Speicherung). Dabei wird zunächst pflanzliches Material wie zum Beispiel Plantagenholz verbrannt und Bioenergie erzeugt. Die bei der energetischen Verwendung anfallenden CO²-Emissionen werden herausgefiltert und im Boden in Gesteinsformationen verpresst. Das von den Pflanzen beim Wachstum aufgenommene CO² soll so dauerhaft der Atmosphäre entzogen werden. Um aber wirklich relevante Klimaeffekte zu erzielen, müssten dafür enorme Landflächen beansprucht werden. Und die Technik zur Speicherung von CO² im Boden ist bisher teuer, umstritten – weil mit hohen Restrisiken behaftet – ,und ihr Einsatz im großen Maßstab damit fraglich. 

Die meisten Szenarien des IPCC gehen davon aus, dass wir die Klimaziele nur erreichen können, wenn wir in der Lage sind, negative Emissionen zu erzeugen. Die fast vollständige Dekarbonisierung bis 2050 wird kaum noch für möglich erachtet. Die Idee der negativen Emissionen nimmt diesem Umstand etwas von der Dramatik und die Politik gewinnt Zeit. Gleichzeitig erhöht sich aber der Druck auf bestehende Landflächen. IPCC geht davon aus, dass bis zu sieben Millionen km² Land zur Erzeugung negativer Emissionen genutzt werden müssen. Das heißt, es handelt sich hier in jedem Fall um gigantische Flächen. Die gesamte landwirtschaftliche Fläche der EU beträgt gerade einmal 1,7 Millionen km².
 

Für die klimapolitischen Versäumnisse muss der globale Süden herhalten

Natural Climate Solutions, Negative Emissionen und Klimaneutralität sind Schlüsselkonzepte der internationalen Klimapolitik, die dadurch verbunden sind, dass sie Landnutzung zu einer zentralen Frage des Klimawandels machen. Klimapolitik wird damit zu einem entscheidenden Faktor, der Strategien und Prozesse der Landnutzung beeinflusst. Dies ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen. Denn Klimapolitik ist in den letzten Jahren zum zentralen Schauplatz globaler Umweltpolitik geworden. Auch wenn das Bienensterben und der Artenverlust in letzter Zeit ebenfalls an Aufmerksamkeit gewonnen haben – die Klimapolitik ist anders als die Bewahrung der Biodiversität zu einem zentralen Aktionsfeld der Politik geworden.

Die zunehmende klimapolitische Bedeutung von Landnutzung hat zwei  Konsequenzen:
    • Nicht alles, was klimapolitisch begründet wird und zur Reduktion von CO² führt, ist begrüßenswert, wenn es um Landnutzung geht. Beispiele dafür sind großflächige Aufforstungen mit Monokulturen oder der agrarindustrielle Anbau von Energiepflanzen.
    • Alle Versäumnisse in der Klimapolitik bei der Reduzierung von CO² aus fossilen Quellen erhöhen den Druck auf landbasierte Lösungen.
Um es zuzuspitzen: Jeder heute noch zugelassene SUV wird durch klimapolitische Landnutzung kompensiert werden müssen. Und dieses Land liegt vorwiegend im globalen Süden.
Aber Land ist heute schon ein Konfliktfeld verschiedenster Ansprüche: Für Ernährung, Kleidung und Energie wird heute schon ein Großteil der Landfläche genutzt. Klimapolitik ist nun im Zentrum der bereits bestehenden Konflikte um Land angekommen. 

Von Thomas Fatheuer

Thomas Fatheuer ist freier Autor und Berater und lebte von 1992 bis 2010 in Brasilien, zuletzt als Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro. Er ist Mitglied im Programmausschuss der ASW und im Vorstand von KoBra. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Brasilien und Fußball in Brasilien.