Indien wurde vor 70 Jahren von den Briten unabhängig. Rukmini Rao, maßgebliche Stimme der ASW-Partnerorganisation Centre for World Solidarity, zieht im Interview Bilanz. Die größte Errungenschaft: jede benachteiligte Person in Indien kann sich heute auf Rechte beziehen und muss nicht mehr als Bittsteller auftreten.
FRAGE: Als Indien unabhängig wurde, lag die Lebenserwartung bei 32 Jahren, heute ist sie 68. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich von 1947 bis heute verhundertfacht. Nach zwei Jahrhunderten englischer Herrschaft konnten nur 12 Prozent aller InderInnen lesen und schreiben, heute sind offiziell 75 Prozent alphabetisiert. Sind also die 70 Jahre der unabhängigen indischen Republik eine Erfolgsgeschichte?
RUKMINI RAO: Indien ist heute eine lebendige Demokratie und hat seit der Unabhängigkeit immerhin kei-ne große Hungersnot mehr erlebt. Unter den Briten tötete z.B. 1943 die große Hungerskatastrophe in Bengalen Millionen von Menschen, während weiterhin Getreide exportiert wurde. Aber von den Erfolgen der indischen Entwicklung profitieren nicht alle gleichermaßen. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich enorm geweitet. Weniger Frauen als Männer sind alphabetisiert und das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern ist beträchtlich. Ein großer Teil der Adivasi- und Dalitgemeinschaften lebt in existentieller Not am Rande der Gesellschaft. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land ist riesig. Noch immer arbeiten 40 Millionen Kinder, und das unter sklavereiähnlichen Bedingungen. 40 Prozent der Frauen und Kinder in Indien sind aufgrund von Armut mangelernährt.
Anlässlich der Feiern zum 70sten Jahrestag Indiens im August dieses Jahres hat die Regierung die 70 angeblich erfolgreichsten Regierungsprogramme seit der Unabhängigkeit ins Licht gerückt. Welches sind aus deiner Sicht die Sozial- und Förderprogramme, die zur Reduzierung von Armut und zur Schaffung von Gerechtigkeit beigetragen haben?
Das wichtigste der großen Sozialprogramme ist sicher das öffentliche Nahrungsverteilungssystem, das armen Familien Zugang zu verbilligtem Nahrungsgetreide verschafft. Trotz seines Umfangs hat es aber einen begrenzten Erfolg. Nicht alle, die bedürftig sind, erhalten die Ration Cards. Ganze Gruppen werden ausgeschlossen.
Was aus meiner Sicht wirklich zu Veränderungen führt, sind gesetzlich verbriefte Rechte. Das Gesetz zum Recht auf Arbeit für ländliche Haushalte (MGNREGS) zum Beispiel garantiert einer ländlichen Familie, die Arbeit braucht, 100 Tage Arbeit zu einem von der Regierung festgesetzten Lohnsatz. Radikal neu ist dabei, dass das Gesetz einen gleichen Lohn für Frau und Mann vorschreibt.
Das Gesetz über Waldnutzungsrechte (Forest Rights Act) ist ein weiterer Meilenstein. Es erkennt das Recht vor allem von indigenen Gemeinschaften, die im Wald leben, auf ihr Land an. Frauen und Männern aus Familien, die über Jahre ein Waldgebiet genutzt und bewirtschaftet haben, wird das gleiche Recht auf das Land zugesprochen. Das Gesetz sichert zudem die Nutzung von Gemeinschaftsland rechtlich ab.
Welche Akteure haben dazu beigetragen, dass solche Veränderungen möglich wurden?
Die wichtigsten Akteure sind sicher die Menschen selbst, die sich organisiert und ihre Bedürfnisse artiku-liert haben. Zum Beispiel haben Dalitgemeinschaften gegen Diskriminierung gekämpft und sich für ihre Beteiligung an der Gesellschaft durch Quotenregelungen eingesetzt. Die garantierten Ausbildungs- und Arbeitsplätze bei öffentlichen Institutionen verbessern das Leben etlicher Dalits deutlich.
Die Arbeiterbewegung, obwohl fragmentiert, hat für Arbeitsbedingungen und das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit sensibilisiert. Und die Frauenbewegung hat zum Zustandekommen von Gesetzen beigetragen, die Frauen ein würdigeres Leben möglich machen.
Hat die seit 2015 amtierende BJP-Regierung unter Narendra Modi bislang etwas für die soziale Gerechtigkeit getan?
Es ist noch ein wenig früh für Ergebnisse der aktuellen Regierungspolitik. Die Kampagne “Beti Bachao, Beti Phadao” (Rette ein Mädchen, erziehe ein Mädchen – gerichtet u.a. gegen die Abtreibung und Vernach-lässigung von Mädchen) ist sehr populär. Wir werden aber erst nach zwei Jahrzehnten beurteilen können, was sie gebracht hat.
Ein anderes Programm heißt „Swatch Bharath”, was „Sauberes Indien“ bedeutet. Swatch Bharath zielt auf die Bereitstellung von Toiletten für alle ländlichen Haushalte und für alle Schulen. Erfolgreich umgesetzt würde das Programm die Gesundheit in den ländlichen Gemeinschaften deutlich verbessern.
Die Regierung fördert außerdem ein „Skill India“- Programm, in dessen Rahmen junge Menschen für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden.
Jetzt zum Thema Ernährungssicherheit. Wie bewertest du im Rückblick die in den 60ern gestartete Grüne Revolution, mit der Indien sich z.B. von den Weizenimporten aus den USA unabhängig machen wollte?
Die Grüne Revolution mit ihrem Einsatz von hybriden Weizen- und Reissorten machte Indien innerhalb von zwei Jahrzehnten zum Selbstversorger bei Nahrungsgetreide. Die Produktionssteigerungen waren aber nur möglich durch massiven Dünger- und Pestizideinsatz und durch einen hohen Wasserverbrauch. Im Rückblick ist klar, dass wir dafür einen hohen Preis bezahlen. Die Folgen des exzessiven Pestizideinsatzes sehen wir z.B. im Punjab an den hohen Zahlen krebskranker Bauern. Der Düngereinsatz hat zudem Böden ruiniert und der Fokus auf Hybridsorten die Biodiversität schwinden lassen. Heute stagnieren auf diesen Feldern die Ernten.
Außerdem haben alle Regierungen bei ihren Anstrengungen die riesigen wasserärmeren Regionen quer durch Indien vernachlässigt, wo Kleinbauern im Regenfeldbau immerhin 40 Prozent der Nahrung produ-zieren. Die Bedürfnisse von Kleinbauern, Kleinpächtern und Landlosen wurden systematisch ignoriert.
Heute ist eine Neubewertung der Situation und eine Ausrichtung auf die Kleinbauern und eine ökologische und nachhaltige Landwirtschaft erforderlich. Überall im Land gibt es heute Stimmen, die einen dezentralen Ansatz der Agrarförderung und z.B. die Unterstützung des kleinbäuerlichen Hirseanbaus fordern. Sogar der Vater der Grünen Revolution M. S. Swaminathan fördert heute die ökologische Landwirt-schaft.
Es gibt aktuell im Land viele Beispiele einer erfolgreichen ökologischen kleinbäuerlichen Nahrungsproduk-tion. Mit Unterstützung zahlreicher NGOs, wie auch die ASW sie fördert, können Kleinbauern auch ihre Produktion steigern und höhere Einkommen erzielen.
Was müsste die Regierung tun, um diese Ansätze zu fördern?
Einige Bundesstaaten unterstützen schon solche Ansätze. Insgesamt haben aber die Kleinbauern keine starke politische Repräsentation im Land. Landreformen sind von der politischen Agenda verschwunden. Das bedeutet, dass Millionen von Bauern keinen Zugang zu Krediten haben, weil sie nicht über Landtitel verfügen. Sie sind daher privaten Geldverleihern ausgeliefert. Auch mit den Folgen des Klimawandels, also z.B. Schwankungen der Monsunregen, werden sie von den Regierungen alleingelassen. Und schließlich gibt es auch keine Konzepte zur Stärkung der Bäuerinnen. Obwohl sie 65 Prozent der Arbeit in der Landwirtschaft verrichten, werden sie oft nicht als Bäuerinnen anerkannt und haben kaum Zugang zu Agrarberatung, Krediten und Märkten.
Das Fehlen einer schlüssigen Agrarpolitik seit der neoliberalen Ausrichtung und Preisschwankungen für Agrargüter haben die Kleinbauern sehr verletzbar gemacht. Es ist kein Zufall, dass in den vergangenen 15 Jahren mehr als 300.000 Bauern infolge ihres ökonomischen Ruins Selbstmord begangen haben.
Wie erklärst du dir, dass die Regierungen das Problem einfach leugnen, dass viel zu wenig Bauern und Bäuerinnen einen sicheren Zugang zu Land haben?
Die Regierungen setzen auf Industrie und Wachstum und zwingen Millionen Menschen zur Migration. Im Großen findet damit genau das Gegenteil von dem statt, was für eine nachhaltige Landwirtschaft erfor-derlich wäre. Statt ländliche und indigene Gemeinschaften zu stärken, werden diese zugunsten von Bergbau- und Infrastrukturprojekten von ihrem Land entfernt. Soziale Gerechtigkeit spielt für unsere Regierungen keine Rolle.
Dennoch gibt es auf Ebene der Bundesstaaten auch sinnvolle Programme. Im neuen Bundesstaat Telan-gana gibt es ein Programm zum Kauf von Land für landlose Dalitfrauen. Drei Acre Land (zusammen 1,2 Hektar) soll jede landlose Bäuerin erhalten. Bis heute wurden 3.000 Acre an 1.600 Frauen verteilt. Aber Probleme wie schlechte Bodenqualität, kein Zugang zu Bewässerung, unsichere Landtitel bleiben. Über 100.000 Bäuerinnen sind noch in der Warteschleife.
In Odisha hat die Regierung Frauen kleine Landstücke für den Aufbau von Küchengärten zugeteilt, um der Fehlernährung zu begegnen. In Kerala organisiert die Regierung Bäuerinnen in Gruppen von Land-pächterinnen und unterstützt sie mit Krediten, Saatgut, Beratung und bei der Vermarktung.
Das sind immerhin gute Ansätze, aber angesichts dessen, was nötig ist, ist es minimal. Unter dem Strich nimmt die Regierung den Kleinbauern und Waldnutzern mehr als sie ihnen gibt.
Kommen wir zum großen Thema der fortbestehenden Kastendiskriminierung. Was sind hier die wichtigsten Entwicklungen der vergangenen Jahre?
Dass die Dalitgemeinschaft sich selbst gegen Diskriminierung organisiert hat, ist sicher wichtiger als alle Regierungsprogramme. Die Organisationen machen auf die Probleme aufmerksam, fordern die Ahndung von Greueltaten und setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen für Dalits ein. Von der Zivilgesellschaft erkämpfte Gesetze wie das gegen Greueltaten oder das Gesetz zum Verbot von Sklavenarbeit bieten eine gute Grundlage, um gegen Diskriminierung zu kämpfen. Und weil Kinderarbeit hauptsächlich Dalitkinder betrifft, haben die Gesetze zum Verbot der Kinderarbeit und zum Recht auf Schulbildung vor allem den Effekt, mehr Dalitkinder in die Schulen zu bringen.
Aufs Ganze gesehen hat auch die Urbanisierung die Kastendiskriminierung reduziert, weil sie Menschen verschiedenster Gemeinschaften und Kasten durcheinandergemischt hat. Und schließlich bieten die indi-sche Verfassung und die garantierten Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Dalits eine gute Grundlage für den Kampf gegen Diskriminierung. Letztlich muss sich aber Indiens Gesellschaft als Ganze bewegen und lernen, dass alle Menschen gleich sind. Nur eine Kombination aus Gesetzen, ökonomischer Entwicklung und einem Bewusstseinswandel der Menschen wird die Kastendiskriminierung beseitigen.
Welche Veränderungen und Verbesserungen haben die 70 Jahre seit der Unabhängigkeit für die Frauen gebracht?
Frauen sind in allen Bereichen sichtbarer geworden; aber die meisten Fortschritte gab es für die städti-schen und Mittelklasse-Frauen. Frauen sind heute Pilotinnen, Ingenieurinnen, Wissenschaftlerinnen und haben Posten in Wirtschaft und Politik. Führungsfiguren aus der Zivilgesellschaft wie Medha Patkar und Vandana Shiva genießen weltweit großen Respekt.
Dennoch sind Frauen auf dem Land, vor allem aus der Dalit- und Muslimgemeinschaft, noch in großem Ausmaß patriarchaler Kontrolle und Unterdrückung ausgesetzt.
Kastenälteste in Haryana haben z.B. festgelegt, das Mädchen und junge Frauen keinen Zugang zu Mobil-telefonen erhalten dürften, weil sie sonst außer Kontrolle gerieten. Im privaten und öffentlichen Bereich besteht Gewalt fort.
Eine wichtige Errungenschaft ist wohl, dass heute die patriarchalen Werte von der Frauenbewegung des Landes zum Thema gemacht werden. Daraus erklärt sich, dass heute auch viele Männer sich öffentlich hinter die Frauen stellen.
Die Initiierung der Frauenselbsthilfegruppen durch die Zivilgesellschaft in den 1980ern brachte mit Sicher-heit die größte Veränderung im Leben der Frauen. Die Idee wurde ab Ende der 90er auch von der Welt-bank aufgegriffen und von unserer Regierung unterstützt. Über Sparaktivitäten und einkommensschaf-fende Maßnahmen haben Millionen organisierter ländlicher Frauen zu mehr Selbstbewusstsein gefunden. Heute werden im ganzen Land zusammen mit ländlichen Frauen Livelihood*-Programme entwickelt. Das bringt sehr viel in Bewegung und ist ein großer Fortschritt.
Kannst du noch genauer erklären, wie Indiens Frauenbewegung in den vergangenen Jahren vorgegangen ist, um Veränderungen zu erreichen?
Ganz wichtig waren die großen landesweiten Kampagnen, die eine Gesetzgebung zum Schutz der Frau-enrechte forderten. Beispielhaft ist die Kampagne, die 2006 zum Gesetz gegen häusliche Gewalt führte, oder die Kampagne zum Stopp von selektiver Abtreibung oder die zum Vererben von Land an Frauen.
Die Bewegung hat dabei nicht nur auf neue Gesetze hingewirkt, sondern mit den ländlichen und städti-schen Gruppen an der Basis zusammengearbeitet und für Landrechte und für den Zugang zu Förderpro-grammen gekämpft. Eine wichtige Forderung der Bewegung ist aktuell eine Frauenquote für das Parlament von 33 Prozent der Sitze, so wie wir sie auf kommunaler Ebene seit 1992 schon haben.
Die Frauenbewegung sorgt auch dafür, dass Mädchen in entlegenen Gegenden Zugang zu Bildung be-kommen, schaut auf die Budgets der Regierungen und macht Druck, dass Gelder zur Frauenförderung auch bereitgestellt werden. Über Jugendarbeit erreichen manche Frauengruppen auch bei Jungen und jungen Männern einen Bewusstseinswandel. Aktivistinnen mischen sich in die Debatten über Landwirt-schaft, Umwelt und Menschenrechte ein. Kurz gesagt: Frauen aus der Bewegung fordern das Patriarchat heraus wo immer sie es vorfinden.
Welche Unterschiede siehst du zwischen Indien und den westlichen Gesellschaften, wo manche schon einen Übergang zum Postfeminismus identifizieren?
In Indien ist die Frauenbewegung heute sehr stark. Neben der Notwendigkeit, dass Frauen in separaten Organisationen zusammengeschlossen sind, besteht aber auch die Notwendigkeit, alle Bereiche der Ge-sellschaft im Sinne der Frauen zu verändern. Daher arbeitet die Frauenbewegung mit verschiedenen Bewegungen zusammen. Um welches Thema es auch immer geht, Aktivistinnen bringen den Genderaspekt in die Debatte ein. Zum Beispiel stellen sie sicher, dass die Bewegung für die Waldrechte die Interessen der Frauen klar artikuliert. Auch das Einfordern von Landrechten für Frauen bei landwirtschaftlichen Kampagnen gehört dazu.
Heute arbeiten Feministinnen auch mit der Regierung zusammen und trainieren sie in Genderfragen. Sie tragen zur Herausbildung einer Genderperspektive bei Polizeimitarbeitern, Steuerbeamten und Vertre-tern der Lokalregierungen bei.
Ist es unter der hindunationalistischen Regierung von Modi schwieriger geworden sich für die Frauenrechte einzusetzen?
Nein. Feministinnen haben immer gegen patriarchale Einstellungen kämpfen müssen und wir werden unsere Kämpfe auch heute fortsetzen.
Was hat sich für die Zivilgesellschaft als Ganze verändert? Wie ist sie in den ersten vier Jahrzehnten vorgegangen und wie geht sie seit der neoliberalen Wende der 90er vor?
Indiens Zivilgesellschaft startete nach der Unabhängigkeit von einer guten Ausgangslage aus. Die Bewe-gung für soziale Reformen in Bengalen während der britischen Herrschaft und der gewaltfreie Kampf für die Unabhängigkeit hatte Hunderte von Organisationen hervorgebracht, die zur Zusammenführung der Bevölkerungen des Subkontinents zu einer Nation beitrugen.
Vor der Etablierung des neoliberalen Regimes in den 1990ern war die Regierung ein zentraler Akteur in der Entwicklung. Beeinflusst von der Zivilgesellschaft stellte sie Ressourcen für Förderprogramme zur Verfügung und brachte viele gute Gesetze auf den Weg. Heute gibt es dafür nur begrenzte Ressourcen. Die Regierung ist unwillig, ausreichend in Bildung und Gesundheit zu investieren. Dies und die Privatisierung dieser Sektoren führt dazu, dass auch sehr arme Familien Unsummen in private Schulbildung stecken. Ihre Gesundheitsversorgung bleibt unzureichend, was sich in hoher Mütter- und Kindersterblichkeit niederschlägt. Krankheiten wie die offiziell ausgerottete Lepra treten noch auf. Vermeidbare Krankheiten kosten weiterhin Leben.
Dazu kommt für die Zivilgesellschaft und speziell für Menschenrechtsorganisationen seit einigen Jahren der Druck seitens der Regierung. Die Regierung und ihre Überwachungsdienste schauen genau, was wir tun. Jeder Einspruch gegen Vertreibung oder sonstige die Rechte der Bevölkerung verletzende Maß-nahmen gilt gleich als antinational. Das schafft ein bedrohliches Klima für Menschenrechtsverteidiger.
Greenpeace wurde zum Schweigen gebracht ebenso wie Tausende anderer Organisationen. Das hat aber die Menschen und die Gemeinschaften nicht davon abgehalten, ihre Kämpfe fortzusetzen.
Wenn du noch einmal auf die 70 Jahre schaust, was sind die durchschlagendsten Errungenschaften?
Aus meiner Sicht ist die größte Errungenschaft die Menschenrechts- bzw die Rechteperspektive. Die Zi-vilgesellschaft hat in den vergangenen Dekaden daran gearbeitet, dass aus einer Kultur der Abhängigkeit und des Empfangens von Hilfe eine Kultur der Rechte und der Rechenschaftspflicht wurde. Heute hat jeder indische Staatsbürger Rechte. Wir haben heute Gesetze, die folgende Rechte garantieren:
Das Recht auf Nahrung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf Waldressourcen und auf Bildung. Außerdem haben wir ein Recht auf Information, auf ein Leben ohne häusliche Gewalt oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und viele andere.
Was wäre dein persönlicher Schlusssatz in Bezug auf das 70-jährige Jubiläum Indiens?
In siebzig Jahren der Unabhängigkeit ist eine lebendige demokratische Gesellschaft entstanden, die zwar einige dunkle Seiten hat, die aber allen Staatsbürgern die Hoffnung gibt, dass sie ein besseres Leben leben können.
Anmerkung: *Für Livelihood gibt es kein deutsches Wort. Livelihood meint eine selbstbestimmte und ökologisch und sozial nachhaltige Form der Reproduktion.
Interview: Isabel Armbrust
Das Interview als PDF
Die Dezemberausgabe der Zeitschrift SOLIDARISCHE WELT als PDF