Interview mit Lamine Biaye vom senegalesischen Saatgutnetzwerk ASPSP
Frage: Viele Senegalesen demonstrierten in den letzten Monaten gegen die hohen Nahrungsmittelpreise. Hungern die Menschen im Senegal bereits?
Lamine Biaye: Auf jeden Fall haben wir ein ungewöhnlich großes Nahrungsmitteldefizit. Das passiert selten im Senegal. Es ist eine Folge der letzten Regenzeit, als nicht überall genug Regen fiel. Deshalb hatten wir bei Getreide, Erdnüssen und Baumwolle eine schlechte Ernte. Normalerweise müssen die Bauern zwei Monate bis zur nächsten Ernte überbrücken, aber dieses Jahr werden es sicher fünf Monate sein, weil die Ernte so gering ausfiel. Das nennen wir Hungersnot auf senegalesisch.
Gibt es in dieser schwierigen Situation staatliche Unterstützung für die Bauern?
Der Staat hat versprochen, 10 Milliarden CFA-Francs zur Verfügung zu stellen. Das sind rund 16 Millionen Euro. Aber wir sind sechs Millionen Bauern im Senegal. Diese 10 Milliarden Francs reichen nur für fünf Kilo Reis für jeden - für fünf Monate! Die CNCR (Conseil National de Concertation et de Cooperation des Ruraux) hat geschätzt, dass 110 Milliarden Francs CFA nötig wären. Der Staat leistet also nur ein bisschen Hilfe mit der Gießkanne.
Welche Perspektiven haben Sie für die Zukunft?
Wir haben Getreidemangel, das ist unser größtes Problem. In unserer Kampagne von 2008 und 2009 fordern wir die Bauern auf, ihr Verhalten zu ändern, all ihren Mut zusammenzunehmen und Hirse, Reis oder Fonio anzubauen. Alle drei Getreidesorten passen zur senegalesischen Ernährung.
Der industrielle Anbau von Baumwolle oder Erdnüssen schadet der Getreideproduktion und unserer Ernährungskultur. Und er zerstört unsere Böden. Außerdem zwingen diese Kulturen den Bauern in einen Teufelskreis der Verschuldung. Um Baumwoll-Hybridsaatgut zu kaufen, muss sich der Bauer verschulden. Er muss Düngemittel und Pestizide kaufen, um einen guten Ertrag zu erzielen. Und wenn es nicht genug Regen gibt, hat er trotzdem schlechte Erträge und kann seine Schulden nicht bezahlen.
Welches Ziel verfolgt das Saatgutnetzwerk ASPSP mit seiner Arbeit?
Unser Ziel ist die unabhängige Versorgung der Bauern mit Saatgut, die Souveränität der Bauern über das Saatgut, um letztlich Ernährungssicherheit zu erreichen. Der Vorteil von lokalem Saatgut ist, dass es an das lokale Klima angepasst ist. Auch wenn nicht genug Regen fällt, reift es heran. Es kann ökologisch angebaut werden, während das Hybridsaatgut von chemischen Inputs abhängig ist. Und wenn man die jährlichen klimatischen Unterschiede miteinbezieht, dann gibt das Hybridgetreide nur in einem von zwei Jahren eine gute Ernte.
Wie funktioniert das praktisch?
Auf den Saatgutmessen treffen sich Bauern aus allen Teilen des Landes und stellen ihr Saatgut vor. Sie beschreiben die verschiedenen Sorten und geben Informationen über ihren Anbau, bevor sie dann von Hand zu Hand gehen. So haben alle die gleichen Kenntnisse darüber, wie man sie anbauen kann.
Bei diesem Prozess fließt kein Geld, man verkauft oder kauft die Sorten nicht, sondern die Bauern tauschen sie aus. Es gibt einen moralischen Vertrag untereinander, der es den Bauern erlaubt, das Saatgut bei der nächsten Aussaat anzubauen. Und auf der nächsten Herbstmesse kommen sie mit der Sorte, die sie erhalten haben, und präsentieren sie. Das ist eine große moralische Befriedigung für beide Seiten.
In der Geschichte der afrikanischen Gemeinschaft war Saatgut nie eine Währung. Es ist Leben, es gehört der Familie, deshalb verkaufen wir es nicht. Wir retten also mit unserer Arbeit nicht nur lokale Sorten, sondern auch einen kulturellen Wert.
Das Interview führte ASW-Mitarbeiterin Claudia Fix am 12. Mai 2008 während der internationalen Konferenz „Planet Diversity“, an der Lamine Biaye auf Einladung der ASW als Referent teilnahm.