Indiens lokale NGOs kämpfen um ihre Existenz

16.11.2020 · 16:28 Uhr

Seitdem die indische Regierung im September 2020 kurzfristig ein Gesetz verabschiedet hat, durch das mit Datum 29.9.2020 der Erhalt ausländischer Fördergelder massiv erschwert wird, ist Indiens Zivilgesellschaft in Sorge. Die Organisationen versuchen nun verzweifelt herauszufinden, wie Details dieses Gesetzes auszulegen sind.

Aufklärung zu FCRA-Gesetz in Indien

Aufklärung zu FCRA-Gesetz in Indien durch ASW-Partnerorganisation

Die ASW und andere internationale Spenden-und Menschenrechtsorganisationen, die seit Jahrzehnten bedürftige Menschen in Indien unterstützen, können derzeit kaum Unterstützungsgelder nach Indien transferieren. Alle suchen in dieser Situation nach Klarheit und nach Wegen, die Unterstützungen wieder anlaufen zu lassen. 

Nach der Verschärfung des Gesetzes zum Erhalt ausländischer Gelder (FCRA-Foreign Contribution Act) am 29. September durch die indische Regierung gab es zunächst weitreichende Proteste. Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, appellierte in einem Pressestatement vom 20. Oktober 2020 an die indische Regierung, die Rechte von Menschenrechtsverteidiger*innen und ihren NGOs zu garantieren, damit diese ihre wichtige Arbeit leisten können. Michelle Bachelet brachte ihr Bedauern zum Ausdruck, dass in Indien der Raum für dieses Engagement immer enger werde. 

Solche Einmischungen verbietet sich Indien allerdings mit dem Verweis, es handle sich um „innere Angelegenheiten“. Letztlich will Indien auch mit der Reform des FCRA die vermeintliche Einflussnahme des Auslands auf Indiens Gesellschaft reduzieren.
 

Da es sich kaum ein Land mit Indien verscherzen will, bleiben die Proteste eher auf der formell-mahnenden Ebene. Zum heutigen Datum ist völlig unklar in welcher Form die Unterstützung von benachteiligten Menschen in Indien  wieder anlaufen kann.

Im Folgenden seien die Neuerungen des FCRA in Kürze zusammengefasst:

Bankkonto bei der State Bank of India

Ab dem 29.9.2020 müssen alle indischen Nichtregierungsorganisationen, NGOs, für den Erhalt ausländischer Gelder ein spezielles Bankkonto bei der State Bank of India in New Delhi haben. Bei geschätzten rund 30.000 betroffenen NGOs ist alleine aus bürokratischen Gründen unabsehbar, wann dies faktisch umgesetzt werden kann. Mit dieser Vorgabe kamen ab Ende September sämtliche ausländische Unterstützungs-Transfers an NGOs zum Erliegen. Viele NGOs können zumindest zunächst ihre Arbeit nicht fortsetzen und keine Gehälter oder Bürokosten bezahlen.

Kein Weiterreichen von Geldern an kleinere NGOs mehr möglich

Auch die verbreitete Praxis ausländischer Geldgeber*innen, ihre Unterstützungsleistungen über ihre indischen Hauptpartnerorganisationen an kleinere, lokale NGOs mit FCRA-Genehmigung weiterreichen zu lassen, ist ab sofort untersagt. Diese Regelung dürfte einen Großteil der geschätzten 30.000 NGOs (und damit ihre lokalen Aktivitäten zugunsten benachteiligter Bevölkerungsgruppen) betreffen. Sie alle müssen sofort das oben benannte Bankkonto bei der SBI in New Delhi eröffnen und Einzel-Verträge und Einzeltransfers mit ausländischen Förderern vereinbaren.

Kein Engagement von Angestellten öffentlicher Einrichtungen in NGO-Vorständen erwünscht

Für Projektarbeit wird außerdem der erlaubte Verwaltungskostenanteil von vorher 50 Prozent auf 20 gesenkt. Es ist bisher noch unklar, inwieweit z.B. Gehälter und notwendige Fahrtkosten für die Projektdurchführung in entlegenen Gegenden zu den Verwaltungskosten gezählt werden.

Auch weitere Regelungen haben es in sich. So müssen sich NGO-Vorstände und leitende Angestellte in der von Datenschützern stark kritisierten zentralen biometrischen Datenbank Aadhaar registrieren. Bisher war das Aadhaar-System, in dem jeder Bürger eine 12-stellige Identifikationsnummer erhält, nur für den Erhalt staatlicher Leistungen, z.B. Renten oder Sozialtransfers, notwendig. Die sonstige Teilnahme, etwa bei Mobilfunkverträgen, war freiwillig.

Außerdem wird Angestellten öffentlicher Einrichtungen die Übernahme von ehrenamtlichen Vorstandsposten in NGOs untersagt, weil sie als offizielle Träger der NGO für diese stellvertretend ausländische Mittel annehmen würden. Schon zuvor mussten Vorstände ihre privaten Vermögensstände darlegen.

Wie die indische Zivilgesellschaft und ihre ausländischen Unterstützer ihre Arbeit in dieser Lage weiterführen können, bleibt abzuwarten. Indische ASW-Partnerorganisationen mobilisieren derweil gegen diese Verschärfungen. Außerdem versuchen sie in ihren Netzwerken herauszufinden, wie die Regelungen im Detail ausgestaltet werden sollen, um möglichst bald wieder handlungsfähig zu sein. Wir und Bündnispartner versuchen ihnen auch von hier aus den Rücken zu stärken.