REDD und (k)ein Ende? ExpertInnen diskutierten fragwürdiges Instrument zum Klimaschutz

30.11.2015 · 11:31 Uhr

Ist Klimaschutz ohne eine Veränderung der Wirtschaftsweise möglich? Das suggeriert das 2005 initiierte REDD-Programm, bei dem  Unternehmen TÜV-geprüfte CO2-Zertifikate kaufen und verkaufen können. Das Programm Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation ist Teil der Green Development Mechanisms der UN und schafft finanzielle Anreize, vorhandene Wälder zu schützen, anstatt sie anderweitig zu nutzen. Es ist ein Finanzierungsmechanismus, der auf der Ökonomisierung von Wald als Speicherort von CO2 beruht. Certified Emission Reduction, kurz CER, heißen diese Zertifikate, die erworben werden können, um den eigenen CO2 Fußabdruck zu verkleinern. Jedes Zertifikat verspricht dem Käufer und der Käuferin die Einsparung von einer Tonne Treibhausgasemissionen  durch ein Klimaschutzprojekt an einem anderen Ort der Welt, vornehmlich in Ländern des globalen Südens.

Kurz vor dem Klimagipfel in Paris befasste sich die Heinrich-Böll-Stiftung in einem Expertengespräch mit dem umstrittenen Klimaschutzinstrument.

Welche Auswirkungen hat REDD auf das Klima, auf die Menschen, die an den Programmen teilnehmen und auf die Menschen, die die daraus entstehenden Zertifikate kaufen? Wie sehen REDD Projekte in der Praxis aus? Und wie funktioniert die Verlagerung von CO2 Emissionen im globalen Kontext? Diese Fragen diskutierten am 21. Oktober der REDD-Experte Chris Lang, Lyda Fernanda Forero vom Transnational Institute in Amsterdam, die Autorin und Aktivistin Jutta Kill und Thomas Brose vom Klima-Bündnis.

Im brasilianischen Amazonasgebiet begannen die Suruí gemeinsam mit verschiedenen NGOs auf ihrem Land, zwischen Rondônia und Mato Grosso, 2007 ein REDD-Programm. Sieben Jahre später wurden die ersten Zertifikate auf den Markt gebracht und von dem Kosmetikhersteller Natura und der FIFA in großem Stil gekauft. Die Suruí erhofften sich, mit dem Verkauf von Zertifikaten ihr Leben zu verbessern und den illegalen Holzhandel auf ihrem Land zu verringern. Heute stehen viele dem Projekt kritisch gegenüber. Zwar werden illegale Holzhändler dank GPS Geräten und Google Maps von den Surui besser geortet. Allerdings sieht der Vertrag auch vor, dass die Gemeinden auf die Nutzung ihres Landes zum Gemüseanbau, zur Fischerei und Jagd verzichten müssen.

Die Gemeinden treten in eine Abhängigkeit von Geldern ein, die sie sich aus dem Verkauf von Zertifikaten erhoffen und werden dabei zu Maskottchen des Grünen Kapitalismus. Tatsächlich kommt von dem Geld kaum etwas bei den Suruí an. Gleichzeitig wird kleinbäuerliche Landwirtschaft als Bedrohung für das Weltklima dargestellt und der Fokus von den großen TreibhausgasverursacherInnen Industrie, Ölförderung und Kohlekraftwerke genommen.

Dabei sind auch heute noch viele Inhalte von REDD sehr vage formuliert. Chris Lang zählte eine Liste von Ungereimtheiten auf. Es gibt beispielsweise keine Definition von Wald. Auch können die in den Pflanzen gespeicherten CO2 Vorräte nicht zuverlässig ermittelt werden.  Die eingesparten CO2 Mengen sind nur Schätzwerte. Jutta Kill nennt die Zertifikate deshalb „TÜV-geprüfte  Geschichten“, weil sie nur auf Hypothesen  über „mögliche Emissionen, die in der Zukunft ausgeschüttet worden wären, hätte es jeweiliges REDD Projekt nicht gegeben“ bestehen.  Aufgrund dieser Logik erhalten bereits geschützte Wälder keine REDD Gelder, weil keine potenzielle Waldzerstörung zu erwarten ist, die verhindert werden kann, und woraus ein Wert geschöpft werden könnte. Daraus wird der Vermarktungsgedanke deutlich, der hinter REDD steht. Es geht nicht um den Erhalt lebenswerter Biosysteme, sondern um die Generierung gewinnversprechender Zertifikate, die auf vagen Schätzwerten zu verhinderten CO2 Emissionen basieren.

Auch nach 15 Jahren befinden sich REDD Projekte vielerorts noch in der Testphase. Die Vielzahl an Pilotprojekten kann nur mühsam dokumentiert werden. Jutta Kill berichtete aus eigener Erfahrung, dass die Projekte, die sie schon über einen langen Zeitraum hinweg beobachtet hatte, ständig neu konzipiert wurden. So sei keine kontinuierliche Dokumentation, und damit keine Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Mechanismen möglich.

Aus dem Expertengespräch wurde schnell ein gemeinsamer Tenor klar: REDD sucht nicht nach wirklichen Lösungen für das globale Klimaproblem. Die Verlierer sind diejenigen, die eng mit dem Wald zusammen leben und die durch die Implementierung von REDD-Programmen ihre  Souveränität verlieren. Wer als Profiteur hervorgeht, sind die Konzerne und Industrieländer, für die die Zertifikate eine elegante Lösung darstellen, ihre Produktionsweise nicht nachhaltiger gestalten zu müssen und die dem globalen Süden die Last des Umweltschutzes auftragen.
  
Der Gedanke, Biodiversität als Produkt zu vermarkten, entstehe, betonte Lyda Fernanda Forero, aus einer künstlichen Dichotomie zwischen Natur und Mensch. Der Erhalt von Natur bekommt so einen monetären Wert, der anhand bestehender Marktmechanismen gehandelt werden kann. Allerdings scheint gerade der Markt dem Erfolg des Konzeptes einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die Preisentwicklung der CER ist von anfänglich 20 Euro pro Zertifikat 2008 auf etwa 4 Euro gesunken. Mit dem Preisverfall ist es lukrativer geworden Wald abzuholzen und das Land extensiv zu nutzen, als ihn zu erhalten.

Die langfristig fatalste Folge des REDD-Programmes ist  jedoch der Paradigmenwechsel im Umgang mit unserer Umwelt. Durch den Handel von CO2-Zertifikaten würde der Anschein erweckt, dass Umweltschäden mit kapitalistischen Marktmechanismen begrenzt werden können, und wir gleichzeitig auf nichts verzichten müssen. Aber Umweltschäden, die durch den Raubbau an fossilen Energieträgern und Mineralien verursacht werden, werden nicht ausreichend mit dem Schutz von Biomasse kompensiert . Damit schneiden wir uns ins eigene Fleisch.