Klimawandel und Flucht: Gastvortrag von Francois Gemenne in Berlin

15.12.2015 · 17:13 Uhr

Vor dem Hintergrund der Weltklimakonferenz in Paris 2015 gab Francois Gemenne, Experte für Geopolitik und Migration, in einem Gastvortrag an der Freien Universität Berlin am 7.12.15 Einblicke in die Ausprägungen und Folgen des Klimawandels. Obwohl veränderte Umweltbedingungen und Naturkatastrophen seit jeher Ursachen für Migration darstellen, flüchten heutzutage immer mehr Menschen aufgrund dieser Veränderungen. Schätzungen zufolge machen sich pro Jahr 26 Millionen Menschen auf den Weg, um den Folgen des Klimawandels wie Dürren oder Naturkatastrophen zu entkommen. Zudem wird politische, wirtschaftliche und umweltbedingte Migration zunehmend miteinander verschmelzen, so der Experte.

Hinsichtlich der Ausprägungen und des Ausmaßes des Klimawandels unterscheidet Gemenne drei Kategorien. Unter die erste Kategorie fallen extreme Naturereignisse wie Stürme, Erdbeben und Tsunamis, die Massenfluchten in den betroffen Gebieten hervorrufen. Die Verschlechterung des Bodens stellt einen weiteren wichtigen Grund zur umweltbedingten Migration dar, da Dürreperioden die Landwirtschaften und damit die Nahrungsquellen von Millionen Menschen bedrohen. Interessanterweise nehmen vor Dürren die Flüchtlingsströme stark zu, wohingegen während der Dürrezeit deutlich weniger fliehen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Menschen mit finanziellen Rücklagen sich vor der Dürreperiode auf die Flucht begeben (können), die Ärmsten der Gesellschaft es sich jedoch zu keinem Zeitpunkt leisten können. Der Anstieg des Meeresspiegels stellt die dritte Kategorie dar. Es wird angenommen, dass bis zum Ende des Jahrhunderts der Ozeanpegel auf mindestens einen Meter ansteigen und Länder mit niedrig gelegenen Küsten massiv bedrohen wird.

Mit Syrien stellt Gemenne ein interessantes Beispiel für die Verschmelzung umweltbedingter, wirtschaftlicher und politischer Fluchtursachen vor. Demnach hatte das Land in den Jahren 2007 bis 2011 mit starken Dürren zu kämpfen, die eine große landwirtschaftliche und soziale Krise ausgelöst haben. Diese Probleme haben zu wachsendem Unmut in der Bevölkerung geführt und damit zur Revolution 2011 sowie dem bis heute andauernden Bürgerkrieg beigetragen. Während sich die Ärmsten der Armen eine Migration nicht leisten können, haben finanziell besser gestellte Syrer die Chance zur Flucht in die Türkei und Libanon – oder später nach Europa – wahrgenommen. Die Verschlechterung der Umwelt werde nach Ansicht des Experten immer mehr Menschen zur Flucht zwingen, vor allem zur Binnenflucht.

Wird das anvisierte 2 Grad-Ziel bis zum Jahr 2100 erreicht werden? Gemenne ist skeptisch und geht von einer Erwärmung von mindestens 4 Grad aus. Die Folgen wären unkontrollierbar und würden eine Massenmigration nach sich ziehen. Insbesondere Küstengebiete in Mitteleuropa, Süd- und Südostasien sowie westafrikanische Staaten wie Senegal sind gefährdet. Bei einer Erwärmung von 6 Grad werden die Polarkappen gänzlich abschmelzen und die Situation für hunderte von Millionen Menschen noch bedrohlicher.

Nach Ansicht von Gemenne ist vor dem Hintergrund der Folgen des Klimawandels eine globale Geopolitik notwendig. Das Thema muss als gesamtpolitische Frage behandelt werden und nicht – wie lange Zeit – als reine Umweltfrage. Das bedeutet, dass nicht nur Umweltminister an Verhandlungen wie dem Weltklimagipfel 2015 in Paris teilnehmen müssten, sondern auch die Wirtschafts-, Außen- und Innenminister der Staaten. Damit könne man besser abgestimmte und wirksamere Strategien entwickeln, um anvisierte Ziele wie die maximale Erwärmung von 2 Grad bis 2100 zu erreichen.