Nachruf auf Vanete Almeida – „Man muß das Leben in seiner ganzen Tiefe leben“

28.09.2012 · 10:21 Uhr

Wenn ich an Vanete denke, denke ich an Wasser. Und an Land. An ihren unermüdlichen Einsatz dafür, dass alle Menschen Zugang zu Wasser und Land haben. Aufgewachsen im Sertao von Pernambuco, geprägt durch das Herrschaftsdenken der dortigen Großgrundbesitzer und die brasilianische Diktatur, hat Vanete Almeida den Landarbeiterinnen ihre Stimme gegeben.

Die Stimme der Landarbeiterinnen

Sie hat die Gewerkschaften aufgemischt indem sie bei den Treffen der Arbeiter gefragt hat: „Wo sind die Frauen?“. Sie ist zu ihnen in die Küche gegangen und sie hat ihnen aus ihrem Schweigen und ihrer Unsichtbarkeit herausgeholfen. Mit sehr viel Geduld hat sie 1982 die ersten Treffen von Landarbeiterinnen einberufen. Und unter vielen Tränen haben sie Lebensgeschichten zusammengetragen, die von Unterdrückung, Mangel, Gewalt und Vernachlässigung gekennzeichnet sind.

Im Laufe der Jahre haben die Frauen mit Vanete erreicht, dass sie sich zunächst trauen vor anderen ihren Namen und ihren Beruf („Landarbeiterin !“, nicht „Ehefrau“ oder „Aushilfe“) zu sagen, um sich dann einzusetzen für ihr Recht auf Lohn, auf Gesundheitsversorgung, auf eigene Dokumente und schließlich für eine unabhängige Rente. 

Das Movimento de Mulheres Trabalhadoras Rurais - MMTR hat es über die Netzwerkarbeit der verschiedenen Gemeinden erreicht, sich regelmässig Gehör zu verschaffen und der lokalen Politik insbesondere im Bereich öffentliche Ausgaben während der Trockenheit und beim Thema Gesundheitsversorgung auf die Finger zu klopfen.  Wie hat sie das geschafft in einer „Welt der Männer“*?  Bei aller freundschaftlichen Unterstützung und guter Zusammenarbeit mit so manchem Gewerkschafter, die Organisation der Frauen sollte immer eine unabhängige Bewegung sein - das war Vanete wichtig.

Vision

Vanetes Methode waren Selbstwert und Respekt!  Sich selbst und andere immer respektieren. Diese Haltung und ihr Einfühlungsvermögen haben ihr überall Anerkennung verschafft: Im Sertao ebenso wie vor ASW-Spender_innen in Celle, Darmstadt oder Landshut oder unter arbeitslosen Schäferinnen in der Uckermark. Vanete war viele Male in Deutschland  und ich hatte mehrfach das Vergnügen mit ihr zu reisen und habe sie viele Löcher in den Bauch gefragt und viel von ihr gelernt:  „Aber  was machst Du, wenn andere nicht mitmachen? Aber man muss doch sofort etwas gegen diese Ungerechtigkeit (Landverteilung) tun!“  Ihre Antwort lautete kurz gefasst: „Respektvoll Menschen dort abholen, wo sie stehen, ihre Fähigkeiten entdecken und Geduld haben!“  Ihre Devise rührte aus ihren Erfahrungen im katholisch-konservativen, patriarchalen Milieu des ländlichen Pernambuco, wo die Möglichkeit zu einer legalen Abtreibung (heimlich erfolgen sie sowieso) ebenso wenig besteht, wie die zur Bestrafung  eines  Gewalttäters bei häuslicher Gewalt.

Vor allem die grassierende Gewalt gegen Frauen war ein Thema, bei dem auch das MMTR und Vanete an ihre Grenzen gestoßen sind. Umso wichtiger waren ihr die Zusammenarbeit mit Feministinnen aus der Stadt und die nationale und internationale Vernetzung von Frauen.

Über den Sertao weit hinaus

1996 bis 2003 hat Vanete als Frauenrätin im Conselho Nacional de Políticas para Mulheres die brasilianische Regierung beraten und  ebenfalls 1996  gründete sie die lateinamerikanische Vernetzung von Landfrauen, REDE LAC - Rede de Mulhleres Rurais da América Latina e do Caribe, die sie bis 2009 koordinierte. Diese Gründung trieb Vanete voran, weil sie feststellte, dass die strukturelle Diskriminierung von Frauen, und von ländlichen Frauen im Besonderen, überall zu finden ist. Das hat sie in Peru ebenso erfahren wie in Burkina Faso und Mozambik.

Leben an die Trockenheit anpassen

Als Lula zum Präsidenten gewählt wurde, war ich mit ihr in Andalusien unterwegs, um die „Agricultura do milagro“ zu besichtigen:  Die Wunderlandwirtschaft, der die spanische Trockenheit nichts anhaben kann, wie es heisst.  Intensiver Gemüseanbau in Almeria in Gewächshäusern mit viel Chemikalien und Nährlösung, praktisch ohne Land und geerntet von afrikanischen Flüchtlingen . Das war eine große Enttäuschung und sie hat es die Repräsentantin des Landwirtschaftsministeriums wissen lassen, dass das nicht der richtige Weg ist mit Mensch und Natur umzugehen. Vanete ist nicht müde geworden zu erklären, dass Menschen mit angepassten Methoden (Zisternen, ausgewählte, einheimische Pflanzen) mit der Trockenheit umzugehen lernen müssen. Und, dass das Problem des Sertao politisch und nicht metereologisch ist. Wir haben dann trotzdem Lulas Wahlsieg gefeiert, denn Spaß gehört mit dazu.

Mit Witz und Spaß

Vanete hat es immer geliebt - zwischen ihren Reisen - in ihrer Küche zu stehen und Früchte und Gemüse aus ihrem Garten zu Köstlichkeiten zu verarbeiten und mit anderen zu Feiern. Ihre Küche glich häufig einem Taubenschlag und gern saß sie abends vorm Haus und erfreute sich an der abendlichen Abkühlung. 2005 wurde sie für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. In den letzten Jahren hat sie viele Auszeichnungen und Ehrungen erfahren wie zum Beispiel von der brasilianischen Zeitschrift „Claudia“. Vanete hat bis zu ihrem Tod nie aufgehört Steine ins Rollen zu bringen, andere für die gemeinsame Sache zu begeistern. Am stärksten aber haben mich ihr Lebensmut und ihre Lust am Leben beeindruckt.

Vanete hinterlässt zwei Adoptivkinder und eine Nichte, die bei ihr aufgewachsen sind und viele, viele AnhängerInnen, die letzte Woche in Recife mit einer großen Trauerfeier von ihr Abschied genommen haben.

(21.Juni 1943 - 9.September 2012)

*Es gibt ein schönes Buch über Vanete Almeida “Ser Mulher num Mundo de Homens” (Frau sein in einer Männerwelt“, geschrieben von Cornélia Parisius, herausgegeben vom DED.

Tina Kleiber (September 2012)