Fora Temer: Brasiliens Zivilgesellschaft auf Bewährungsprobe

02.02.2017 · 17:29 Uhr

Eine neoliberale Wirtschaftspolitik und ein rückwärtsgewandter politischer Konservativismus: Dafür steht die im Mai 2016 durch ein fragwürdiges Impeachment an die Macht gelangte Regierung von Michel Temer. In der brasilianischen Bevölkerung ist Temer unbeliebt wie noch nie ein Präsident, außerdem ist er verwickelt in den Petrobras-Skandal. 2014 wurde er wegen der Annahme illegaler Spenden verurteilt. „Fora Temer“ (Weg mit Temer) lautet denn auch eine Parole der Protestbewegungen, die seit einiger Zeit gegen den Backlash in Brasilien mobil machen.

Vermutlich, weil er sich nicht zur kommenden Wahl stellt, schaltet und waltet Temer wie es ihm und den Wirtschaftseliten beliebt. So hat er sich über eine Verfassungsänderung die Grundlage geschaffen, die Staatsausgaben auf 20 Jahre hin einzufrieren. Die von den Vorgängerregierungen der Arbeiterpartei PT eingeführten Sozialprogramme wie die Bolsa Familia oder das Schulspeisungsprogramm werden ab 2018 betroffen sein.

Außerdem ist Temer dabei, das Sozialversicherungssystem zu reformieren und das Arbeitsrecht zum Vorteil der Unternehmen zu flexibilisieren. Bereits begonnen hat er damit, Verordnungen zum Schutz der Umwelt, von indigenen Territorien und Minderheitenrechte abzuschwächen.

Für unsere Projektpartner in Brasilien besonders fatal ist die Abschaffung des Ministeriums für die Entwicklung der Landwirtschaft (MDA). Denn es war ein wichtiger Gegenspieler zum Ministerium für Agrarwesen, Fischerei und Viehzucht (MAPA), das die Interessen der großen Agrarproduzenten vertritt. Das MDA stärkte dagegen die Kleinbäuerinnen.

Welche Antworten findet die Zivilgesellschaft?


Brasiliens Zivilgesellschaft steht seit dem Regierungswechsel vor neuen Herausforderungen. Die linken Bewegungen und Gewerkschaften suchen nach einem gemeinsamen Nenner. Mit der Mobilisierung der Arbeiterklasse tun sie sich schwer, weil schon lange keine gemeinsame Sprache mehr gesprochen wird.

Ana Claudia Mumbuca von unserer Partnerorganisation FAOR sieht derzeit eher Organisationen jenseits der traditionellen linken Bewegungen im Aufwind. Zum Beispiel Gruppen von indigenen, kleinbäuerlichen, Quilombola- oder Fischergemeinschaften, die vor Ort Widerstand gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen organisieren.

Deren Bereitschaft zum Protest existierte schon vor dem Putsch und richtete sich gegen die Koalitionsregierung von Dilma Rousseff, die den Schutz indigener Territorien, der Umwelt und der Menschenrechte opferte, wenn es um die Durchsetzung großer Infrastrukturprojekte oder um die Interessen der Agrarindustrie ging. Dass sich diese Menschen anders als die klassischen linken Bewegungen organisiert haben, hängt auch mit der Rückbesinnung auf ihre Geschichte des Widerstands und mit ihren gemeinschaftlichen Lebensformen zusammen.

Zunehmend werden auch Kämpfe der Indigenen - wie der der Munduruku in der Region Pará, die das eigene Land gegen Wasserkraftwerke verteidigen, oder der Ka´apor, die sich in der Region Maranhão gegen die illegalen Holzfäller stellen, zum Vorbild für urbane Frauen- oder Schwarzenbewegungen.

 

Viele unserer Projektpartnerinnen werden Ende April am Panamazonischen Sozialforum teilnehmen. Dort werden sie sich mit anderen lateinamerikanischen AktivistInnen beraten, wie sie gemeinsam gegen die auch in anderen Ländern an die Macht gelangten rechtspopulistischen Regierungen vorgehen können. Auch „Buen Vivir“ sei eine Antwort auf diese Regierungen und ihren zerstörerischen Kapitalismus, findet Guilherme Carvalho von unserer Partnerorganisation FASE. Das Konzept setzt an indigenen Werten des Zusammenlebens an und stellt die Verwertungslogik des Kapitalismus in Frage.