Arbeitsmigration im indischen Bundesstaat Jharkhand

Für den Lebensunterhalt werden leidvolle Erfahrungen in Kauf genommen

Unsere indischen Partner in Jharkhand haben bei insgesamt drei informellen Treffen NGO-Mitarbeiter*innen und Dorfbewohner*innen dazu angeregt, einige Fragen zur Binnenmigration in Indien, insbesondere Arbeitsmigration, zu diskutieren. Dabei wurden insbesondere die persönlichen Erfahrungen und Eindrücke geteilt. Die folgenden Schilderungen geben Einblicke in ein komplexes Thema.

Den Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer*innen nach handelt es sich bei Arbeitsmigrant*innen primär um junge Männer. Diese migrieren meist in Gruppen mit weiteren Männern aus ihrer lokalen Gemeinschaft. Nach Ansicht der Interviewten bleiben Frauen der Arbeitsmigration weitgehend fern. Die Gründe für diese Sicht lassen sich in patriarchalen und paternalistisch geprägten Denkmustern festmachen. Für Frauen, so die Befragten, sei Migration generell zu unsicher, und außerdem müssten Frauen sich um Haushalt und Familienangehörige kümmern.

Die Daten des indischen Zensus zeigen allerdings, dass tatsächlich mehr Frauen als Männer innerhalb Indiens migrieren. Allerdings ist der maßgebliche Grund für die Migration von Frauen nicht Arbeit, sondern der Umzug in den Haushalt des Ehemanns nach einer Heirat.

Es geht um Arbeit

Als wichtigster Grund für die Entscheidung zur Migration wird unisono die finanzielle Situation genannt. Sei es Armut, ein fehlendes Einkommen aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Kredite und Schulden, die zurückgezahlt werden müssen. Die Migration zielt demzufolge vor allem darauf ab Geld zu verdienen – eine Möglichkeit, die es am Heimatort nicht gibt. Darüber hinaus wurden auch andere Faktoren wie z.B. Klimaveränderungen und Dürre als Gründe für die Migration genannt.

Die wichtigsten Arrangements werden bereits im Voraus von zuhause gemacht. Die meisten wissen bereits vor Verlassen ihres Zuhauses genau, wohin es gehen soll und wo sie arbeiten werden. Die Arbeitsplätze werden entweder durch Netzwerke von Bekannten, Freunden und Familie, oder durch Mittelsmänner bzw spezielle Agenturen vermittelt. Letztere behalten dann auch gerne noch eine Kommission für ihre Dienste ein.
Die Wahl des Ziels hängt letztendlich von der Verfügbarkeit von Arbeit ab. Selbst die Migration in kulturell und sprachlich fremde Gebiete und die damit einhergehenden Schwierigkeiten, wie z.B. eine besonders große Ausbeutung, werden zugunsten eines höheren Einkommens in Kauf genommen.

Kurzzeitmigration ist die Regel

Langfristige Migrationen sind den Schilderungen der Diskussionsteilnehmer*innen zufolge die Ausnahme. In der Regel handelt es sich um temporäre Bewegungen von ca. sechs bis zwölf Monaten. Die Menschen bleiben also nur für eine Weile zum Arbeiten und kehren danach wieder in ihre Heimat zurück. Dementsprechend wird auch kaum versucht, sich in die Gesellschaft vor Ort einzugliedern.

Die Erfahrungen während der Arbeitsmigration werden durchwegs als schlecht beschrieben. Die Rede ist von Ausbeutung und unwürdiger Behandlung seitens der Arbeitgeber*innen und der lokalen Behörden. Zeit für Ruhe, Hygiene oder gar Schlaf bleibt den Betroffenen kaum. Zudem ist das Essen schlecht und nicht nahrhaft und die Unterkunft mangelhaft. Einige müssen direkt am Arbeitsplatz schlafen, eine angemessene medizinische Versorgung fehlt. Darüber hinaus werden (Arbeits-)Rechte verletzt und die Löhne häufig nicht pünktlich und oft nicht vollständig ausgezahlt.

Ganz eindeutig ergibt sich aus den Antworten, dass Migration schlichtweg dem Zweck dient, Geld zu verdienen. Und dafür werden große Strapazen in Kauf genommen. Einige Befragte sehen die Migration sogar als Zwang.

Arbeitsmigration als Zwangsmigration

Die Familien der Arbeitsmigrant*innen stehen der Migration meist abgeneigt gegenüber. Aufgrund fehlender Perspektiven in der Heimat sehen sie allerdings auch die Notwendigkeit zu diesem Schritt. Obwohl sich die zurückgelassenen Familienmitglieder dann auch mit fehlender Unterstützung im Haushalt oder bei der Feldarbeit arrangieren müssen.

Das verdiente Geld werde entweder über informelle Dienste oder Netzwerke nachhause geschickt oder aber gesammelt und am Ende selbst mitgenommen. Beide Varianten sind nicht optimal. Im ersten Fall sind oft hohe Gebühren zu zahlen. Und im zweiten Fall besteht das Risiko eines Diebstahls, da die Unterbringung am Arbeitsplatz kaum einen geeigneten Platz zur Aufbewahrung des Lohns bietet.

Zu der Frage, ob NGOs oder zivilgesellschaftliche Initiativen sowohl zur Erleichterung von Migration wie auch zur Bekämpfung ihrer Ursachen beitragen können, sprachen sich die meisten positiv aus. In erster Linie gehe es darum, ein Bewusstsein für die Probleme informeller und nicht registrierter Arbeit zu schaffen. Gleichzeitig können Anreize geschaffen werden am Heimatort zu bleiben. Dazu zählt eine größere Effizienz im landwirtschaftlichen Bereich, das Aufzeigen alternativer Einkommensmöglichkeiten sowie generell eine bessere Bildung.

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