Neue Förderbedingungen in Indien erschweren Arbeit

Seitdem die indische Regierung im September 2020 kurzfristig ein Gesetz verschärft hat, das den Erhalt ausländischer Fördergelder für indische Nichtregierungsorganisationen regelt, ist die Arbeit der dortigen Zivilgesellschaft – vorsichtig ausgedrückt - komplizierter geworden. Zusammen mit der Repression gegen indische Aktivist*innen, die sich für die schwächsten Gruppen der Gesellschaft einsetzen, führt die stärkere Kontrolle ausländischer Fördergelder für die Projektarbeit im Feld Menschenrechte in Indien zu Einschränkungen.

Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Arbeit der ASW als ausländische Geldgeberin. Konkret ist vor allem das eingespielte Modell der Zusammenarbeit der ASW mit dem Centre for World Solidarity, CWS, betroffen, das 1992 das Indienbüro der ASW ablöste.


Die ASW und das Centre for World Solidarity (CWS)

Seit 1992 war das CWS die Schaltstelle unserer Indienarbeit. Es betreute für uns die oft in abgelegenen Gebieten angesiedelten Partnerorganisationen, die Unterstützung in ganz unterschiedlichen Bereichen ihres Engagements benötigten. Zeitweise waren es - je nach Spendeneingang - fast 60, verteilt auf die sechs ostindischen Bundesstaaten Bihar, Odisha, Jharkhand, Andhra Pradesh, Telangana und Tamil Nadu.

Bei den wachsenden administrativen Herausforderungen, aber auch in vielen inhaltlichen Fragen und bei der Vermittlung neuer Kenntnisse zu Gesetzen, Landwirtschaft oder Arbeitsmethoden schulte das CWS für uns die engagierten Frauen oder Männer der Partner-NRO.

Auch zur Überprüfung der Projektfortschritte steht das CWS mit den NRO-Mitarbeiter*innen in einem ständigen Beratungsprozess, schlägt Verbesserungen vor und berichtet für uns in Berlin. Dazu besuchen unsere CWS-Kolleg*innen die Partnergruppen mindestens zweimal im Jahr und stehen ihnen ansonsten per Telefon oder bei Netzwerktreffen mit Rat und Tat zur Seite.
 

Einschränkung sinnvoller Modelle der Kooperation

Nach den kürzlich verschärften Anforderungen der indischen Regierung ist es nun untersagt, dass  ausländische Geldgeber*innen ihre Unterstützungsleistungen über indische Hauptpartnerorganisationen an kleinere, lokale NROs weiterreichen und dass diese von den zwischengeschalteten Hauptpartnern betreut und geschult werden.

Jede noch so kleine und im Umgang mit internationalen Geldgebern unerfahrene Gruppe muss nun selbst versuchen, Einzel-Verträge und entsprechende Transfers von ihren ausländischen Förderern zu erhalten. Richtig gut gelingt das nur größeren NRO mit entsprechenden Kapazitäten und internationaler Erfahrung.
 

1 zu 1-Förderungen vertrauter und neuer ASW-Partnerorganisationen

Diesen neuen Herausforderungen mussten sich auch die ASW und unsere indischen Partner stellen. Zusammen mit dem CWS haben wir daraufhin mit allen bisherigen Partner-NROs gesprochen und uns darüber ausgetauscht, ob sie erfahren genug sind, um auch ohne Unterstützung des CWS die administrativen und inhaltlichen Anforderungen zu erfüllen.  
In 9 Regionen des östlichen Indiens haben wir folgende Partnerorganisationen identifiziert, mit denen wir nun als 1 zu 1 Partner der ASW die Arbeit fortführen: ANBU TRUST, CENTREREDA, CRASA, JJS, NAWO, LOK MADHYAM, SHAHEEN, CWS-Girl und SMS.
Diese Organisationen werden von uns  in ihrer Arbeit zu den gleichen Themen wie zuvor finanziell unterstützt.


Thematische und regional fokussierte CWS-Projekte

Als zweite Schiene sind nun direkt vom CWS durchgeführte Projekte in den auch zuvor zentralen Arbeitsschwerpunkten Gender, Dalit und Adivasi und Nährstoffsicherheit hinzugekommen.

Dazu hat das CWS in Absprache mit den ehemaligen lokalen Projektpartnern Teile von deren Strukturen und auch Mitarbeiter*innen übernommen. So führen sie ihr Engagement nun unter einem neuen Dach, aber mit den gleichen Dorfgemeinschaften und dem gleichen thematischen Fokus in 10 Regionen und 40 Dörfern fort.
 

Projekt zur Stärkung der Adivasi der Dongria Kondh

Eines dieser Projekte ist die Unterstützung der indigenen Dongria Kondh im Bundestaat Odisha. Diese Adivasi-Gemeinschaft lebt am Rande der durch die Kämpfe gegen den Bergbau-Konzern Vedanta bekannt gewordenen Niyamgiri-Hills und ist stark von Vertreibung und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage bedroht.

Bis letztes Jahr hatte die  ASW daher die Organisation SDS unterstützt, die die Frauen der Dongria Kondh u.a. durch den Aufbau zusätzlicher Einkommensmöglichkeiten (wie Verarbeitung und Vermarktung von Heilpflanzen) stärkt. Dazu erhielten sie Schulungen im Anbau von Nutzpflanzen wie Ananas, Mango, Yam-Wurzeln, sowie in Möglichkeiten des Zugangs zu staatlichen Unterstützungsleistungen, zur Schulbildung für die Kinder und Fragen der Migration.  

Die Gruppe SDS hatte schnell eingewilligt, diese Unterstützungen nun direkt durch das CWS durchführen zu lassen. Dazu wurden zwei bisherige SDS-Mitarbeiter*innen übernommen und zusätzliche Freiwillige bei den Dongria Kondh  gesucht. Diese sind als Teil der unterstützten  „Zielgruppe“ Adiavsi direkt ins alltägliche Dorfgeschehen eingebunden. So können sie vor Ort dafür Sorge tragen, dass Treffen regelmäßig abgehalten werden und neue Kenntnisse schnell in praktisches Handeln übersetzt werden. Bei auftretenden Problem können sie zeitnah Kontakt mit den zuständigen CWS-Mitarbeiter*innen aufnehmen. 


CWS bleibt unser „Kompetenzzentrum“ vor Ort

Auch künftig wird das CWS die Schaltstelle unserer Indienarbeit bleiben. Für unsere 1 zu 1-Partner darf es zwar nicht mehr Beratungs- und Schulungsarbeit im gleichen Umfang wie zuvor leisten. Durch ihre Mitarbeit in regionalen NRO-Netzwerken in allen sechs ostindischen Bundesstaaten sind die CWS- Mitarbeiter*innen aber weiterhin in der Lage, Tipps und Erfahrungen weiterzugeben. Und zweitens gute und innovative Organisationen zu identifizieren, die sie dann der ASW zur Förderung vorschlagen. Unsere Expert*innen in Sachen Projektarbeit in Indien sind also weiterhin die erfahrenen indischen Mitarbeiter*innen.


CWS-Mitarbeiter sieht sogar Chancen

Unsere Partner*innen vor Ort sehen darüber hinaus sogar Vorteile in der neuen Arbeitsstruktur. „Dass wir nun direkt mit den interessierten Menschen der Gemeinschaften arbeiten, eröffnet auch einige neue Möglichkeiten. Ohne regionale NRO zuerst schulen zu müssen, können wir den Gemeinschaften nun direkt fachgerechte Unterstützung in allen Bereichen zukommen lassen, von Ökolandbau über Ernährung, Ausbildung bis hin zu Prävention von Gewalt gegen Frauen“, ließ uns kürzlich Rajesh Jha vom Jharkhand-Resource-Centre des CWS wissen. Um diese Unterstützung nachhaltig umsetzen zu können, haben die Kolleg*innen vom CWS in Absprache mit den dortigen NROs und den vernachlässigten Gemeinschaften schon viele Freiwillige gefunden: Menschen, die in den Dörfern leben und die Veränderungen dort Schritt für Schritt vorantreiben können.

Auch hoffen unsere Partner*innen vom CWS, die Regelungen zur „Corporate Social Responsibility“ (Unternehmerische Sozialverantwortung) in Indien stärker nutzen zu können: diese beinhalten, dass Firmen einen kleinen Teil ihres Nettogewinns für gemeinnützige Zwecke ausgeben. Es dürfte in Indien allerdings nicht einfach sein, Firmen von der Notwendigkeit der Unterstützung ausgerenzter Menschen in abgelegenen Dörfern zu gewinnen.

„Wir werden dennoch versuchen, für Gemeinschaften auch über diese Schiene bessere Lebensbedingungen zu schaffen“, so Rajesh Jha. „Alles, was dazu dient, benachteiligten Menschen weiter beizustehen und ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen, nehmen wir gerne an.“

Von Isabel Armbrust und Detlef Stüber

Portrait einer indischen NGO-Mitarbeiterin

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