Die Westsahara – vergessen oder ignoriert?

Im Zeichen der „Zeitenwende“ scheint das Auswärtige Amt auf einmal selektiv vorzugehen, wenn es darum geht, Menschenrechte zu wahren. So verkündete im August 2022 die Bundesregierung, dass sie „den im Jahr 2007 vorgestellten Autonomie-Plan [für die West-Sahara] als ernsthafte und glaubwürdige Bemühung Marokkos und eine gute Grundlage, um zu einer Einigung beider Seiten zu kommen“, betrachtet** und schlug sich somit de facto auf die Seite der autokratischen Monarchie Marokko.

In diesem Februar jährte sich das Bestehen der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) – und damit die völkerrechtswidrige marokkanische Besatzung der Westsahara - zum 47. Mal, vergessen von der Weltgemeinschaft. Oder doch eher ignoriert, zugunsten wirtschaftlicher Interessen?

Die DARS wurde von der sahrauischen Befreiungsbewegung Frente POLISARIO ausgerufen, nachdem die ehemalige spanische Kolonialmacht das Land verlassen und es dem Nachbarstaat Marokko „überlassen“ hatte. Es folgten Jahre des Krieges zwischen sahrauischen Guerillas und der marokkanischen Armee bis zu einem 1991 errungenen Waffenstillstand. Ein Referendum sollte durchgeführt werden, bei dem die Sahrauis selbst über die Zukunft ihres Landes abstimmen sollten. Eine UN-Blauhelmtruppe, die MINURSO, sollte dies begleiten.

Doch ihr fehlt es an Mandaten, durchzugreifen, und seither bewegt sich in diesem Konflikt fast nichts. Marokko blockiert das Referendum, und will u.a. marokkanische Siedler:innen in der Westsahara mit abstimmen lassen, was die Frente POLISARIO ablehnt. Seit 2007 gibt es einen neuen Vorschlag: Einen Autonomieplan, der den Sahrauis innerhalb des marokkanischen Gebiets, zu dem dann auch die Westsahara zählen würde, autonome Rechte zuspricht – also de facto eine Zementierung des Status quo und eine Abkehr vom Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Sahrauis.  

Selbst die eingesetzten UN-Sondergesandten  – auf Horst Köhler folgte der italienisch-schwedische Diplomat Staffan de Mistura – konnten bisher nichts gegen den marokkanischen Kolonialismus ausrichten. Köhler schaffte es zumindest 2018, die marokkanische Regierung und Vertreter der frente POLISARIO an einen Tisch zu bekommen. Doch es passierte wieder nichts, bis im November 2020 die frente POLISARIO wieder zu den Waffen griff, nachdem marokkanische Soldaten eine friedliche Straßenblockade angegriffen und gewaltsam geräumt hatten – ein wiederholter Bruch des Waffenstillstandsvertrages. Seitdem herrscht wieder Krieg zwischen den beiden Ländern.

Doch warum weigert sich Marokko, die Westsahara an seine eigentlichen Bewohner:innen zurückzugeben? Es geht um natürliche Ressourcen (in der Westsahara hauptsächlich Phosphat und Fisch vor ihrer Küste), Handelsbeziehungen und Migrationsvereitlung. Laut internationalem Recht, inklusive mehreren Gerichtsurteilen des Europäischen Gerichtshofes, müssen die Erträge natürlicher Ressourcen den Menschen des Gebiets zugutekommen, auf dem sie gewonnen werden. Marokko profitiert über Wirtschaftsverträge mit vielen Ländern der EU aber von der illegalen Ausbeutung der Bodenschätze und des Fischs, und finanziert damit die Besatzung der Westsahara.

Zudem dient Marokko als Pufferstaat bei der Verhinderung von Migration, und kann diese Rolle immer wieder neu ausspielen: Wird der marokkanische Anspruch auf die Westsahara in Frage gestellt, werden im Gegenzug schon mal Grenzposten zur EU geöffnet oder Botschafter aus dem Ausland abgezogen.

Und währenddessen harren über 180.000 Menschen in Flüchtlingscamps in der algerischen Wüste aus. Seit 47 Jahren. Wir dürfen sie nicht vergessen.

Von Franziska Kohlhoff

** https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/reise-marokko/2548272

 

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