Warum die ASW keine Kinderpatenschaften vermittelt

Die Kritik kam Mitte der siebziger Jahre aus den Ländern des Südens: Evaluierungen vor Ort  brachten die Erkenntnis, dass die Förderung einzelner Kinder in Heimen oder Dörfern den Gedanken einer gemein-schaftlichen Entwicklung konterkariert. Auch die Auswirkungen auf die geförderten Kinder selber erwiesen sich als katastrophal. Die ASW, aber auch  terre des hommes und wenige andere Organisationen verabschiedeten sich daraufhin von ihren Patenschaftsprogrammen und initiierten eine öffentliche Kampagne. Klassische Patenorganisationen wie z.B. die Kindernothilfe änderten in den Folgejahren ihre Konzepte, und gingen von der Einzelpatenschaft zur Gemeinwesenförderung über. Auch die durch ihre groß angelegten Werbekampagnen für Patenschaften bekannten internationalen Organisationen World Vision und Plan  verfolgen letztlich das Konzept der Gemeinwesenförderung. Als seriöses entwicklungspolitisches Instrument hat die Einzelkinderpatenschaft  ausgedient. Sie ist heute lediglich ein (überaus erfolgreiches) Werbe- bzw. Marketingmittel.


Kinder als Marketinginstrumente

Dieser Werbeerfolg lässt sich folgendermaßen erklären: Kinder gelten grundsätzlich als besonders schutz- und hilfsbedürftig, als unschuldig und unpolitisch. Die Patenschaft vermittelt den SpenderInnen das Gefühl, diesem einen Kind in seiner Not persönlich weiterhelfen zu können. Dadurch entstehen eine engere persönliche Bindung und ein (scheinbar) direkterer Zugang zu der Welt des Hilfebedürftigen.

Der finanzielle Erfolg der Kinderpatenschaft liegt zudem in der langfristigen Bindung der Paten. Denn wer lässt schon gerne ein Kind auf halbem Weg in ein besseres Leben im Stich. Der moralische Druck, die Spende aufrecht zu erhalten, ist wesentlich höher, als bei anderen Unterstützungsformen. Im Vergleich dazu ist die Werbung für die eigentlich unterstützten Projekte, also in der Regel für Erwachsene oder gar sehr alte Menschen, weitaus schwieriger. Sie sehen nicht so niedlich und unschuldig aus, wie die zur Auswahl stehenden Patenkinder. Sie entsprechen nicht dem Schema der Überlegenheit, mit dem Erwachsene gerne Kindern begegnen. Und mit dem auch der Globale Norden dem Süden gegenübertritt.


„Augenhöhe“ geht nur mit Erwachsenen

Unsere Erfahrung in der Projektarbeit zeigt deutlich, wie schwierig eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen uns als „Überbringer der Spendengelder“ mit unseren PartnerInnen vor Ort ist. Der strukturelle Unterschied ist immens, obwohl wir als ASW eine wesentliche Pionierarbeit in der Übertragung von Entscheidungen in die betroffenen Länder geleistet haben („Europäisierung der Projektarbeit“). Unsere Kommunikation findet mit erwachsenen PartnerInnen statt,  die über jahrelange Erfahrung in der Projektarbeit verfügen. Sie sind diejenigen, die  entscheiden, wie sich Projekte und Dorfgemeinschaftsprogramme entwickeln.  

Einige Patenschaftsorganisationen betrachten die ausgewählten Kinder als Botschafter des Projektes oder die Kommunikation zwischen Patenkind und Spender als interkulturellen Dialog. Das halten wir, besonders auch im Interesse der betroffenen Kinder, für völlig unrealistisch. Ein z.B. sechsjähriges Kind kann die komplexe Situation seines Heimatdorfes noch nicht begreifen. Und ob es die Aufgabe des Patenkindes mit den dazugehörigen Verpflichtungen wirklich freiwillig eingeht, ist fraglich.

 

Stärkung von Gemeinwesen als Solidaritätsarbeit

Welches Bild wird vermittelt, wenn Kinder „katalogartig“ auf Internetseiten und in Werbeprospekten auswählbar sind? Wenn einzelne Kinder in der öffentlichen Darstellung als die scheinbar einzige Hilfsoption in den Vordergrund gerückt werden? Eine ausführliche Studie zur öffentlichen Darstellung der großen Patenwerke in Deutschland hat Anette Scheunpflug von der Universität Erlangen-Nürnberg erarbeitet. Sie kritisiert insbesondere die katalogartige Darstellung von Patenkindern in der Werbung einzelner Organisationen als ethisch problematisch: Schließlich sollte Kindern aufgrund ihrer generellen Schutzbedürftigkeit und nicht aufgrund individueller Merkmale geholfen werden. Ein zweiter Kritikpunkt der Studie ist, dass einige Organisationen die Patenkinder unangemessen in den Vordergrund stellen, wo doch auch bei ihnen der Großteil der Projektarbeit in der Stärkung von Gemeinwesen besteht. Dadurch entsteht ein verkürztes Bild der Entwicklungszusammenarbeit, das den eigenen Beitrag überbewertet und strukturelle Fragen  vernachlässigt, lautet das Resümee der Wissenschaftlerin.

In der Schweiz erhalten Organisationen, die Einzelkindpatenschaften vermitteln, nicht das von der Stiftung ZEWO vergebene Spendensiegel. Die ZEWO empfiehlt den Schweizer SpenderInnen: „Lassen Sie die Hände von Patenschaften für ein einzelnes Kind. Denn es sind ethisch problematische Marketinginstrumente, die falsche Erwartungen wecken. Unterstützen Sie besser ein nachhaltiges Projekt.“ zewo.ch. [Lesen Sie auch die ausfühliche Begründung der Ablehnung von Kinderpatenschaften durch terre des hommes.]

Das der ZEWO entsprechende DZI in Deutschland sieht das Spannungsverhältnis zwischen Patenschaft und Projektarbeit ebenfalls. Es plädiert jedoch dafür, den konkreten Einzelfall zu betrachten und weniger allgemeingültig einen ganzen Bereich abzulehnen.

Wessen Bedürfnissen dient die Kinderpatenschaft?

Für uns als ASW kommt eine Wiedereinführung von Kinderpatenschaften nicht in Frage. Weder möchten wir Kinder zu Werbezwecken instrumentalisieren, noch in unserer Außendarstellung die komplexe gesellschaftliche Situation vor Ort auf die Hilfsbedürftigkeit einzelner Kinder vereinfachen. Das widerspricht unserer Vorstellung von solidarischer Zusammenarbeit mit den Menschen des Südens. Es geht nicht darum,  Kinderpatenschaften generell zu  verdammen, oder diejenigen, die sich für die Übernahme einer Patenschaft entscheiden, zu kritisieren. Unser Appell ist es aber, sich Gedanken darüber zu machen, ob die Übernahme einer Patenschaft nicht vielmehr eigene Bedürfnisse befriedigt, als die des ausgewählten Patenkindes, das stellvertretend für eine zu unterstützende Gemeinschaft ausgesucht wurde.

Tobias Zollenkopf

 

Mit diesen Projekten gibt die ASW Kindern und Jugendlichen eine Zukunft