Bemerkenswerte Fortschritte werden aktuell unterspült

Interview mit Ini Damien zum Stand der Frauenrechte in Burkina Faso


Ini Damien hat sich der Stärkung von Frauen in einem umfassenden Sinne verschrieben. Mit ihrer 1992 gegründeten NGO APFG hat sie Tausende von Frauen in ihren Rechten gestärkt und ihnen u.a. über Berufsausbildungen, Workshops in Gemüseanbau sowie in Weiterverarbeitung und Vermarktung von Agrarprodukten zu einem eigenständigen Leben verholfen. Über ein von ihr aufgebautes westafrikanisches Netzwerk von Verbänden und NGOs gegen geschlechtsbezogene Gewalt konnte sie ihren Kampf für das Frauenrecht auf ein Leben in Würde und ohne Gewalt noch ausweiten.

ASW: Könnten Sie die Entwicklung der letzten 10 Jahre in Bezug auf die Rechte der Frauen, auf Frauenpartizipation und -bildung beschreiben?

Ini Damien: 2009 verabschiedete die burkinische Regierung eine Nationale Genderpolitik (PNG) als neuen Bezugsrahmen für Genderfragen. Das allgemeine Ziel der PNG bestand darin, die Partizipation und Gleichstellung der Frauen zu fördern und ihnen einen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen, zu deren Kontrolle und zu allen Entscheidungsbereichen zu gewährleisten. Im Jahr 2018 ergab eine Evaluierung der Umsetzung des PNG deutliche Fortschritte bei der Verringerung der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten.
So hat sich im Bildungsbereich die Kluft zwischen der Anzahl der Mädchen und Jungen zugunsten der Mädchen verringert. Die Zahl der Mädchen, die eine Grundschule besuchen, ist von 72% im Jahr 2008 auf 95% im Jahr 2019 gestiegen. Die Aufrechterhaltung dieser Trends bleibt jedoch angesichts der Verschlechterung der Sicherheitslage, der Schließung von Schulen und der Vertreibung der Bevölkerung eine Herausforderung.
Was die Beteiligung von Frauen in Entscheidungsgremien betrifft, so bleibt die Repräsentation von Frauen trotz der neuen Gesetze hinter den Erwartungen zurück. Durch die zunehmende Sicherstellung der praktischen Bedürfnisse von Frauen wie Zugang zu sauberem Wasser oder Gesundheit und durch die Bekämpfung von Geschlechterungleichheiten konzentrieren sich die Frauen nun mehr auf ihre strategischen Bedürfnisse wie Bildung, Mitsprache und Unabhängigkeit von den Männern.

Die bemerkenswerten Fortschritte im Bereich der Frauenrechte werden aufgrund der Sicherheits-, humanitären und Gesundheitskrise sowie des gewalttätigen Extremismus allerdings wieder untergraben.

Wie haben NGOs und Netzwerke zu diesen Erfolgen beigetragen?

Der Beitrag von Netzwerken und NGOs ist enorm. Vor allem durch ihre finanzielle Unterstützung haben sie Akteure im Bereich Frauenförderung und Gender gestärkt und so viele Veränderungen ermöglicht, vor allem bei der Stärkung der weiblichen Führungsrolle oder der Bekämpfung von auf Geschlecht basierender Gewalt. Durch die Sensibilisierung der Bevölkerung haben sie auch sehr zum Abbau von Geschlechterungleichheiten beigetragen.

Inwieweit haben auch Regierungsprogramme geholfen?

Die Maßnahmen der Regierung haben sehr zur Stärkung der weiblichen Führungsrolle, zur Förderung der Rechte von Frauen sowie zu ihrem Zugang zu grundlegenden sozialen Dienstleistungen beigetragen. Auch im Wissen um den Beitrag der Frauen zur nachhaltigen Entwicklung hat sich die Regierung verpflichtet, Hindernisse zu bekämpfen, die diesem entgegenstehen. Wir sprechen hier nicht von einem harten Kampf von Frauenbewegungen, sondern vom Engagement der Frauen, der Regierung, der technischen und finanziellen Partner, der NGOs und Verbände, die es ermöglicht haben, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu verringern. Wir haben verfügbare Strukturen, die Tausenden von Frauen den Zugang zu solidarischen Krediten erleichtert haben, wie den FAARF (Fonds d’Appui aux Activités Rémunératrices des Femmes) und den FAFPA (Fonds d’Appui à la Formation et à l’Apprentissage), Institutionen, die von der Regierung geschaffen wurden.

Sie haben oben schon die höhere Einschulungsrate von Mädchen genannt. Wo gibt es weitere sichtbare Erfolge: Hat z.B. die Beteiligung von Frauen in den Dorfgremien zugenommen?

Die Beteiligung von Frauen an den Dorfgremien hat sich nicht wesentlich erhöht. Das ist letztlich auf das Fortbestehen schädlicher soziokultureller Denkmuster zurückzuführen.*

Für mehr Frauen gibt es heute Möglichkeiten, ein eigenes Einkommen zu generieren. Wirkt sich das auf den Status der Frau aus?

Die finanzielle Freiheit der Frauen hat den Status der Frau in der Gesellschaft erhöht. Durch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten können Frauen ihre Männer sogar in den Hungerperioden unterstützen und das Schulgeld für die Kinder zahlen.

Dank der Aufklärungsarbeit können die Männer es heute auch zulassen, dass die Frauen ihren eigenen einkommensschaffenden Aktivitäten (AGRs – Activités Génératrices de Revenus) nachgehen und sich dazu in Gruppen oder Genossenschaften zusammenschließen. Auch die Beteiligung von Frauen an bestimmten Entscheidungsgremien und die Verringerung der Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen sind zu beobachten. Darüber hinaus haben sich Männer in Aktivitäten engagiert, die zuvor angeblich den Frauen vorbehalten waren.

Wie sieht es mit der Erbschaft und dem Landbesitz von Frauen aus?

Der Landbesitz von Frauen ist immer noch ein großes Problem – es gibt nur wenige Frauen, die Land erben. Die meisten Landbesitzerinnen sind durch Regierungsprogramme zur Rehabilitierung von ärmeren Regionen zu Land gekommen. Auch durch die Aufklärungsarbeit ist die Zahl der Frauen, die Land besitzen, leicht gestiegen.

In vielen Familien gehen die Männer auf Arbeitsmigration. Was bedeutet das für die Frauen?

Es verschlechtert die Stellung der Frauen. In dem Sinne, dass sie möglicherweise allein für den Unterhalt ihrer Familien aufkommen müssen. Sie werden mehr Zeit für die Suche nach Mitteln zum Lebensunterhalt verwenden als auf den Kampf für ihre strategischen Bedürfnisse.

Wie unterscheidet sich die Situation der Frauen in den Städten von der auf dem Land?

Frauen in Städten haben eher Zugang zu sauberem Wasser, Gesundheit, Bildung und Ressourcen als die auf dem Land. Sie haben mehr Geschäftsmöglichkeiten und genießen insgesamt mehr Rechte als ihre Schwestern, die auf dem Land leben.

Wie viele Frauen arbeiten heute, sagen wir im Vergleich zu 1970?

Im Vergleich zu 1970 ist die Zahl der heute arbeitenden Frauen deutlich höher. Am 31. Dezember 2019 arbeiteten 69.599 Frauen im öffentlichen Dienst und machten 34% der Beschäftigten aus. In technischen Berufen allerdings sind sie sehr unterrepräsentiert. Die Diskriminierung bei der Einstellung, vor allem im privaten Sektor, und der Rückstand bei der Ausbildung von Frauen machen es ihnen nicht leicht, technische Berufe zu ergreifen. Von allen Studierenden waren im Studienjahr 2019–2020 allerdings 39,9% Frauen, das sind 60.371 Studentinnen.

Wie wirken sich die Klimakrise und die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auf die Frauen in deinem Land aus?

Die Klimakrise hat durch den fehlenden Regen oder die Überschwemmungen, die sie verursacht, dazu geführt, dass die landwirtschaftlichen Erträge der Frauen gesunken sind. Dadurch geraten sie in prekäre Verhältnisse. Viele Frauen sind heute arbeitslos.
Dazu kam dann 2020 die Corona-Pandemie. Die brachte einen weiteren Verlust von Arbeitsplätzen und Ersparnissen mit sich. Auch die geschlechtsspezifische Gewalt stieg an.
 

Könntest du uns sagen, welche Rolle die Gewalt gegen Frauen heute spielt?

Gewalt gegen Frauen ist in Burkina Faso immer noch verbreitet. Laut OECDGenderindex (SIGI) wurden 37% der Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer von häuslicher Gewalt, verglichen mit 16% der Männer. 80% der Frauen, die in einer Ehe leben oder gelebt haben, waren im Laufe ihres Lebens Opfer von diskriminierenden Praktiken im Zusammenhang mit der Familie. 44% der verheirateten Frauen wurden vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet und 44% der Burkinabè halten diese Praxis für gerechtfertigt.

Im Jahr 2015 registrierten die Sozialdienste mehr als 14.519 Fälle von Gewalt gegen Frauen verschiedener Art: Zwangsheirat, körperliche Gewalt, sexuelle Ausbeutung, seelische Gewalt, Verlassen der ehelichen Wohnung. Die Gewalt gegen Frauen wird heute durch die Sicherheits-, humanitäre und Gesundheitskrise verschärft.

Um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, wurde 2015 das Gesetz Nr. 061-2015/CNT zur Verhütung, Bestrafung und Wiedergutmachung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen verabschiedet. Die Regierung und ihre technischen und finanziellen Partner bekämpfen Gewalt gegen Frauen und kümmern sich ganzheitlich um die Opfer.

Jetzt würden wir gerne noch etwas zu den Aktionen organisierter Frauen in deinem Land erfahren. Welche nationalen Frauennetzwerke gibt es? Existiert eine Frauenbewegung?

Es gibt keine starke Frauenbewegung in Burkina Faso, aber Frauenorganisationen und Netzwerke, die sich für die Stärkung von Frauen einsetzen und z.B. den Staat im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen begleiten. Recht erfolgreiche Beispiele sind die Arbeit meiner Organisation, der Association pour la Promotion Féminine de Gaoua (APFG) im Südwesten und die Arbeit unseres westafrikanischen Netzwerkes von Verbänden und NGOs, die gegen geschlechtsbezogene Gewalt kämpfen. Wir haben das regionale Forum zur Stärkung und Würdigung von kämpferischen Frauen ins Leben gerufen und institutionalisiert; zuletzt fand es im April 2022 statt. Darüber hinaus hat die APFG das erste regionale Forum für Sozialunternehmer:innen veranstaltet, an dem über 300 Personen teilnahmen, die sich für die Förderung des Unternehmertums als Mittel im Kampf gegen Terrorismus und gewalttätige Extremisten unter Jugendlichen und Frauen in der Region Südwesten engagieren. Es wurden Empfehlungen ausgesprochen und Verpflichtungen eingegangen. Ein weiteres Beispiel ist das Netzwerk zur Förderung von Landfrauen (REPAFER).
 

Welche Rolle spielen bei dieser Arbeit digitale und soziale Netzwerke?

Sie erleichtern die Anzeige von Tätern und Täterinnnen (z.B. Beschneiderinnen), die Gewalt gegen Frauen und Mädchen ausüben. Sie ermöglichen es Frauen, über ihre Situation zu sprechen und ihr Leid sichtbar zu machen. Vor allem bleiben Frauen und Mädchen über ihre Plattform verbunden und können Erfahrungen austauschen. Daher schult die APFG die Frauen auch in Digitalisierung und Geldüberweisung. Dies hat in den ländlichen Dörfern, in denen die Frauen solidarische Kredite erhalten, begonnen zu funktionieren.

Magst du uns zum Schluss noch sagen, was für dich in jüngster Zeit die größten Herausforderungen waren und was du dir für die Zukunft wünschst?

Am schwierigsten sind aus meiner Sicht die humanitären und politischen Krisen, die uns besonders treffen und Erreichtes wieder zunichte machen – die Coronapandemie, der Dschihadismus, die Zunahme von Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt. Was ich mir besonders wünsche ist, dass die Menschen in Europa und weltweit mehr Gerechtigkeit und Verständnis gegenüber den Ländern des Globalen Südens entwickeln.

Das Interview führte unsere Themen-AG im November 2022.

* In ihrer konkreten Projektarbeit durch die NGO APFG haben Ini Damien und ihr Team erreicht, dass sich Frauen in Entscheidungsgremien wie Dorfentwicklungsräten und in den nach dem Putsch etablierten Sonderdelegationen engagieren. Letztere treffen die Entscheidungen über das künftige Zusammenleben und gewährleisten die Fortführung der anstehenden Arbeiten.

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