Welche Lösung für Klima-, Biodiversitäts- und Ernährungskrise?

Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen schlägt eine radikale Landnutzungswende vor

Im Juni 2021 sind Weltklimarat (IPCC) und Weltbiodiversitätsrat (IPBES) erstmals mit einem gemeinsamen Bericht und fächerübergreifenden Lösungsvorschlägen gegen Klimawandel und Artensterben an die Öffentlichkeit gegangen. Damit haben die beiden UN-Institutionen auch ein Zeichen für eine übergreifende Klima- und Biodiversitätspolitik gesetzt. Denn bisher erfasst die Politik jede Krise getrennt und sucht spezifische Bewältigungsstrategien.

Schon 2020 hat der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung für eine ganzheitliche Lösung der großen Welt- und Menschheitskrisen geworben.

Mit der Studie „Landwende im Anthropozän“ zeigt er, dass die Klimakrise, der Artenschwund und das Hungerproblem viel zu lange isoliert voneinander angegangen wurden.

Oft standen die Maßnahmen sogar in Konkurrenz, denn alle benötigen Land. Und das ist auf unserem Globus nur begrenzt verfügbar.


Die Landnutzung muss drei Anforderungen genügen

Der Bericht spricht daher von einem „Trilemma“ der Landnutzung, aus dem es nur einen Ausweg gibt: Land muss künftig so genutzt werden, dass alle drei Ziele zusammen bedient werden.

Die Studie „Landwende im Anthropozän“ ist insofern überhaupt nicht das xte Werk zu nachhaltiger Landwirtschaft, sondern eine fundierte Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Landoberfläche des Globus, eigentlich ein Gemeingut der Menschheit und künftiger Generationen, so genutzt werden kann, dass a) alle Menschen in Würde leben können und dass b) die Erderwärmung sowie c) der Biodiversitätsverlust gestoppt werden.
 

Klimaneutralität nur mit Hilfe von Land erreichbar

Alle Regierungen der Welt haben es bis heute versäumt, den Ausstoß von CO2 und anderer Treibhausgase angemessen zu reduzieren und Richtung Null zu bringen. Daher sind die 2015 in Paris vereinbarten Ziele nur noch zu erreichen, so die Studie, „wenn, ergänzend zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, Landflächen genutzt werden, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen“. CO2 muss folglich entweder durch Aufforstungen oder durch natürliche oder technische Lösungen in Pflanzen, im Boden oder Gestein gespeichert werden.
 
Schon unser letztes Schwerpunktheft „Klimaungerechtigkeit“ (Februar 2021) setzte sich mit der Rolle dieser „negativen Emissionen“ beim Menschheitsprojekt „Klimaneutralität“ auseinander. Unser Autor Thomas Fatheuer benannte dort u.a. die Gefahr, dass für Aufforstungen und technische Lösungen zur CO2-Bindung gigantische Mengen an Land beansprucht und damit der Ernährung der Menschen des globalen Südens entzogen werden könnten.


…. auf das Maß kommt es an

Diese Gefahr sehen auch die WBGU-Autor*innen. Sie plädieren daher für eine „frühzeitige und ambitionierte Reduktion“  (Seite 4; zitiert wird aus dem Hauptgutachten*) globaler CO2-Emissionen. Unter maximaler Transparenz sollten die Staaten dann zusätzlich nur noch einen genau bezifferten Anteil der CO2-Reduktion durch landbasierte Lösungen erreichen dürfen. Und nur durch solche Ansätze, die gleichzeitig „erhebliche Mehrgewinne für biologische Vielfalt und Ernährungssicherheit“ bieten (S. 4). Dazu zählen u.a. die Renaturierung von Mooren und anderer Feuchtgebiete, Erhöhung der Kohlenstoffbindung im Boden durch nachhaltige Bewirtschaftung (S. 56), eine standortgerechte Wiederaufforstung entwaldeter Flächen und besonders Agroforstsysteme, eben weil diese den Bezug zur Ernährung der Menschen haben (siehe auch APAF in diesem Heft).

Die Aufforstung bisher nicht bewaldeter Fläche sollte dagegen kritisch geprüft werden (4G). (siehe Beitrag auf S.10 dieses Heftes)
Auch bezüglich technischer Lösungen wie BECCS (Bioenergie mit Abscheidung von CO2 und dessen Speicherung als Biokohle) oder DACCS (direkte Gewinnung von CO2 aus der Luft und Abspeicherung in Gestein; S. 56) haben die Autor*innen ihre Zweifel. Die Unsicherheiten bei den Verfahren seien noch zu groß (S. 57) und außerdem würden neue Nutzungsansprüche an Land begründet. Es  drohen „Konflikte zu den Zielen des Biodiversitätserhalts oder der Ernährungssicherung“ (S. 58).

Nahrung für alle durch eine naturnahe Landwirtschaft

Auch die heute vorherrschende, meist industrielle Landwirtschaft gefährdet langfristig die Welternährung, der sie dienen soll, denn sie degradiert die Böden, zerstört die Biodiversität und schädigt das Klima. Der WBGU empfiehlt daher, die bislang weitgehend „monofunktional auf Produktion ausgerichteten Landwirtschaftssysteme in Richtung ökologisch intensiver multifunktionaler Systeme wie z.B. Agroforstwirtschaft zu transformieren und dabei Menschen, agrarökologische Praktiken und die Erbringung von Ökosystemdienstleistungen ins Zentrum zu stellen.“
In der Praxis laufen diese Vorschläge auf eine Ökologisierung der gemeinsamen Agrarpolitik der EU, GAP, hinaus: Die heutigen Flächenprämien würden komplett in Zahlungen für „Ökosystemdienstleistungen“, sprich Schutz der Biodiversität durch Erhalt von Mooren, artenreichen Wiesen, Wassereinzugsgebieten etc. umgewandelt.
 

Agrarpolitik in Ökosystempolitik überführen

(S. 5 und 278) Die Autor*innen fordern aber zu weiteren Schritten auf und halten mittelfristig die Etablierung einer „Gemeinsamen Ökosystempolitik“ (GÖP) der EU für notwendig. Eine exklusiv auf die Landwirtschaft fokussierte Politik, die heutige GAP, gäbe es dann nicht mehr, Agrarpolitik würde mit Naturschutz, Ausbau von Schutzgebietssystemen, der Förderung nachhaltiger Forstwirtschaft und dem Aufbau von landbasierten Ansätzen zur CO2-Entfernung zu einem Ganzen verschmelzen.

Abkehr von unserem Ernährungsstil

Der Globus wird bis zum Jahr 2100 elf Milliarden Menschen zu ernähren haben, danach wird die Weltbevölkerung nach Schätzungen der UNO wieder rückläufig sein. Aktuell leben acht Milliarden auf unserem Planeten, bis 2050 sollen es 9,7 Milliarden sein.

Schon heute werden (in Kalorien bemessen) genügend Nahrungsmittel für diese 9,7 Milliarden produziert. Hunger und Nahrungsunsicherheit auf diesem Globus ist somit ein Verteilungsproblem.

Sollte allerdings der Ernährungsstil des industrialisierten globalen Nordens mit seinem hohen Fleischkonsum von den Menschen im globalen Süden übernommen werden, dann wird es auch von der Fläche her eng: Dann bräuchten wir 119 % der heute bewirtschafteten Ackerfläche, um alle zu ernähren. Schon heute gehen 70 Prozent des weltweit produzierten Getreides ins Tierfutter.

Das Fazit aus diesen Berechnungen ist so einfach wie klar: Der Ernährungsstil der Europäer*innen kann gar nicht globalisiert werden.

Aus Sicht der Autor*innen muss also das Welt-Ernährungssystem von Grund auf geändert werden, weg vom exzessiven Fleischkonsum.

Außerdem sollten die realen Kosten der Degradation von Ökosystemen und die von ihnen erbrachten Leistungen „möglichst vollständig in die Preise für Nahrungsmittel einfließen“ (S. 6).

Indigene und lokale Gemeinschaften als Naturbewahrerinnen

Der WGBU empfiehlt eine Ausweitung von Schutzgebieten auf 30 Prozent der Landfläche - eine Größenordnung, für die sich die EU im Oktober 2021 beim virtuellen Weltbiodiversitätsgipfel (im Frühjahr 2022 folgt die Hauptkonferenz im chinesischen Kunming) ausgesprochen hat. Er zeigt sich dabei allerdings sensibel gegenüber dem Recht auf Selbstbestimmung indigener Gemeinschaften, die fast 30 Prozent der Erdoberfläche bewohnen. Nicht zufällig fällt ihr Siedlungsgebiet weitgehend mit den schützenswerten Ökosystemen unseres Globus zusammen, denn ihre nachhaltige Lebensweise hat über Jahrhunderte zu deren Erhalt beigetragen.

Daher seien „Wahrung und Anerkennung der Rechte der IPLCs (Indigenous Peoples and Local Communities) essenziell für den Schutz … dieser wertvollen Ökosysteme“, so der WBGU in Berufung auf aktuelle Studien. (S. 108)
Nachdem früh schon die Welt-Biodiversitätskonvention CBD (1992) und dann ab 2012 der Weltbiodiversitätsrat die Wichtigkeit der Indigenen beim Biodiversitätserhalt akzentuiert hatte, ist diese Position mittlerweile in vielen Organisationen wissenschaftlicher Konsens und die Idee eines Naturschutzes, der mit Umsiedlung und Vertreibung von Menschen einhergeht, verliert Anhänger*innen. Die Praxis vieler Naturschutzorganisationen folgt aber leider nicht dieser Erkenntnis. So wird z.B. der WWF, der im Juni 21 mit einer Studie die Rolle der Indigenen als Naturschützer belegte, sehr für die fortgesetzte Finanzierung von umstrittenen Schutzgebieten kritisiert. (siehe Beitrag in diesem Heft Seite 15)

 

Wer entscheidet, wer gestaltet mit?

Obwohl der WBGU auf dieser Grundlage auch empfiehlt, „Planung und Management von Schutzgebieten partizipativ mit der indigenen und lokalen Bevölkerung anzugehen“ (S. 107), ist von den indigenen „Naturbewahrer*innen“ im vierten und letzten Teil der Studie zur Umsetzung der Landwende (Transformative Governance für einen solidarischen Umgang mit Land) kaum noch die Rede.

Recht unkonkret wird dort die Frage abgearbeitet, wie alle Akteur*innen in eine „breite und solidarische Verantwortungsübernahme“ für das globale Gemeingut der Landökosysteme einbezogen werden können.

Pionier*innen des Wandels“ gäbe es schon. Sie würden z.B. durch solidarischen Konsum oder dadurch, dass sie ihr Land alternativ bewirtschaften, eine solche Verantwortung zeigten.

Über „Preisanreize, freiwillige und verpflichtende Nachhaltigkeitsstandards, raumbezogene Pläne, Subventionen“ sollten nun Staaten dafür sorgen, dass es mehr werden und langfristig die gesamte Gesellschaft für eine Landwende gewinnen.

Letztlich überwiegen bei den Vorschlägen der Autorinnen solche, die sich auf Anreize und gesetzliche  Rahmenbedingungen beziehen, sowie auf die Herstellung regionaler und staatlicher Kooperationen.  

Ein wenig zu sehr folgen damit die Governance-Vorschläge der Autor*innen dann doch einem Top-Down-Ansatz.  

Trotz dieser Schwäche halten wir den Bericht des WGBU für eine extrem anregende Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit dem Thema Landnutzung und empfehlen zumindest die Lektüre der 8-Seitigen Zusammenfassung uneingeschränkt.
Übrigens hat der WBGU schon in früheren Papieren originelle Ideen präsentiert: Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Katowice, Polen, 2018**, regte er einen Klimapass für Klima-Geflüchtete an, mit dem diese Staatsbürgerrechte in anderen Ländern erhalten würden. „Staaten mit erheblicher Verantwortung für den Klimawandel (z.B die USA, China, Katar, die EU-Staaten und Russland) sollten sich als Aufnahmeländer für Personen mit Klimapass zur Verfügung stellen“, so die Überzeugung der Autor*innen.

Schade, dass unsere Regierung sich ein so tolles Gremium leistet, aber den dort erarbeiteten Empfehlungen so gar nicht nachkommt

Von Isabel Armbrust

*  Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): „Hauptgutachten: Landwende im Anthropozän. Von der Konkurrenz zur Integration“, 2020

**Im Politikpapier „Zeit–gerechte Klimapolitik: Vier Initiativen für Fairness“, August 2018