Brasilien: Eine Kleinbäuerin setzt auf Agrarökologie

Interview mit Rosilene Pinto da Mota

Rosilene Pinto da Mota lebt und arbeitet in der ländlichen Gemeinde Nova Esperança im Munizip Santarém im Bundesstaat Pará und ist Mitglied der Vereinigung der Landarbeiterinnen der Gemeinde Santarém. Sie beteiligt sich auch an Projekten der ASW-Partnerorganisation FASE.

Was sind für dich die größten Veränderungen der vergangenen 10 Jahre?

Es ist der Vormarsch der Agrarindustrie in unseren Regionen. Hier in der Region handelt es sich in erster Linie um die Zunahme an Sojaplantagen. Vor allem die mit Flugzeugen versprühten Pestizide beeinträchtigen unsere kleinbäuerlichen Pflanzungen. Auch die meist von den Frauen gemanagten Hausgärten sind davon betroffen.

 

Seid ihr als Familie noch alle zusammen auf euren Hof?

Meine Kinder sind erwachsen und leben schon seit einigen Jahren in der Stadt. Sie beteiligen sich nicht mehr an der Familienlandwirtschaft, die vor allem ich zusammen mit meinem Mann betreibe.
 

Was baut ihr an und welche Arbeiten machst du davon?

Ich arbeite u.a. mit Cará-Pflanzungen, das sind Kartoffeln, die nicht süß sind. Ich ernte die Knollen, trockne sie an der Sonne und zerstoße sie anschließend in einem Mörser. Außerdem trockne ich Maniok. Alles agrarökologisch, und wir stellen daraus auch Brei und Kekse her. Einen Teil für unsere eigene Ernährung – einen Teil verkaufen wir.

Ich beteilige mich auch an den „agrarökologischen Tagebüchern“ von FASE (siehe Seite 35), in denen wir alle unsere Tätigkeiten notieren. Wir schreiben auf, was wir ernten, was wir verkaufen, was wir tauschen. Wir züchten auch Hühner und Schweine – dieses sind aber Bereiche meines Mannes.

Unsere Arbeit ist körperlich sehr schwer, denn unser Boden ist hart und mühsam zu bearbeiten, vor allem der Anbau von Maniok und Cara ist sehr anstrengend. Aber die anderen Tätigkeiten fallen in meinen Arbeitsbereich und ich kann darüber auch bestimmen.


Kannst du uns deinen Arbeitsbereich noch genauer erklären?

Nun, hier auf dem Bauernhof mache ich von allem ein bisschen, solange es in meiner Macht steht. Ich stelle Kokosnussbonbons mit Cupuaçu-, Passionsfrucht-, Bananen-, Zuckermilch- und Erdnussgeschmack her, arbeite mit natürlich geröstetem Kaffee vom Bauernhof und ernte Kakaobohnen, aus denen ich Schokoladenröllchen herstelle, die ich verkaufe. Ich mache auch selbstgemachten Joghurt. Ich arbeite mit geriebenem Maniok und Kokosraspeln.


Wem gehört eigentlich das Land, das ihr bebaut?

Unser Land, das wir bearbeiten umfasst ungefähr 23 Hektar. Aber ein Teil davon gehört auch meinem Vater, in dessen Namen das Land registriert ist. Es gibt genug Land zu bearbeiten und wir nutzen in erster Linie schon gerodete Flächen, die sogenannte Capoeira. Das reicht uns und wir müssen keinen Wald vernichten.


Was habt ihr vor 10 Jahren angebaut - und was heute?

Wir arbeiten schon seit 10 Jahren mit den gleichen Kulturpflanzen, Maniok- und Cará. Weil der Boden so schwer zu bearbeiten ist und wir das alles noch per Hand machen, können wir auch nicht mehr bewirtschaften, das würden wir ohne mechanische Geräte gar nicht schaffen. Aus der Maniokwurzel gewinnen wir auch Mehl und daraus stellen wir Tapioka her, das ist auch der Grundstoff für Beiju (eine Art Maniokknäckebrot).


Was davon vermarktet ihr?

Ich weiß nicht, wie viel wir verkaufen, daher kenne ich auch nicht genau unsere Einnahmen. Wir verkaufen Tapioka, also die Stärke der Maniokwurzel und Kokosraspeln, Maniokpaste und ab und zu ein Huhn. Aber erst einmal ernähren wir uns von den eigenen Produkten. Nur wenn wir eine gute Ernte haben und etwas übrig bleibt, dann können wir verkaufen und haben eine kleine Einnahme. Allerdings ist das immer sehr unterschiedlich und nicht so vorhersehbar, ob etwas übrig bleibt zum Verkauf.


Wie nutzt ihr das erzielte Zusatzeinkommen?

Von den Einnahmen kann ich die Stromkosten bezahlen und Lebensmittel, die wir selber nicht produzieren. Zum Beispiel Zucker. Manchmal auch Fisch oder ein Huhn. Manchmal haben wir auch Schulden, die wir bezahlen müssen. Das sind keine großen Summen und ich kann durch meine Einnahmen dazu beitragen.

Es gibt allerdings Zeiten im Jahr, wo wir kaum etwas ernten können – und dann gibt es auch nichts, was ich vermarkten kann. Dann kommen die Kinder aus der Stadt und helfen uns, indem sie uns etwas zu essen mitbringen. Es ist auch gut, dass wir hier schon Internet haben.


Wie sieht es bei euch mit dem Zugang zu Wasser aus?

Unsere Region, obwohl sie zu Amazonien gehört, ist sehr trocken. Das hat durch den Klimawandel noch zugenommen. Mein Vater hat 1997 einen Brunnen gegraben, aus dem wir mit einer Dose Wasser schöpfen können. So konnten wir auch Menschen aus unserer Gemeinde mit Wasser unterstützen.

Aber in diesem Winter gab es sehr viel Regen. Die Stadtverwaltung hat ohne uns zu informieren Arbeiten an der Straße durchgeführt, um einen Durchlass freizulegen. Und durch diesen Durchlass lief das Wasser und überflutete unseren Brunnen und wir waren ohne sauberes (Trink-) Wasser. Jetzt bekommen wir Wasser von unserem Nachbarn, aber dieser hat nun zu wenig, um seine Gemüsepflanzen zu gießen, die er verkaufen möchte. Daher wollen wir jetzt einen neuen Brunnen graben. Hier in unserer Region ist sauberes Trinkwasser die große Herausforderung und nur wenige Menschen haben Zugang dazu.
 

Welches Brennmaterial verwendet ihr zum Kochen? Wie organisiert ihr das?

Zum Kochen benutzen wir eigentlich Gas. Aber wir sind nicht auf das Gas angewiesen. Wir verwenden auch Brennholz, das wir auf unserem Grundstück sammeln. Mein Mann schneidet es und bringt es nach Hause und dann befeuern wir damit einen Lehmherd, auf dem wir kochen und Kaffee zubereiten.


Triffst du dich regelmäßig mit anderen Frauen?

Da ich derzeit nicht mehr die Koordinatorin unserer Frauenvereinigung bin, treffe ich die anderen nur noch zufällig auf dem Markt oder aber bei Frauentreffen, zu denen wir eingeladen werden.

Bei diesen Frauentreffen diskutieren wir Themen und entscheiden, mit welchen Aktionen wir für unsere Rechte kämpfen. Am 21. Oktober gab es z.B. eine Mobilisierung für einen gemeinsamen Gang zum Ministerium, um dort ein Dokument einzureichen, auf dem wir unser Recht auf eine bessere Gesundheitsversorgung für Frauen einfordern. Das ganze stand im Rahmen des „Rosa Oktober“, bei dem es um Frauengesundheit ging. Wir wollen z.B. erreichen, dass alle Frauen, die wollen, eine Mammographie machen können. Oft gibt es die Möglichkeit gar nicht oder die Geräte sind mal wieder kaputt.


Welche Folgen hat Corona für dich und für euch gehabt?

Das Schlimmste für mich waren die Nachwirkungen, die das Virus nicht nur bei mir, sondern bei vielen Frauen hinterlassen hat. Viele psychologische Probleme sind die Folge und vor allem Ängste. Noch heute habe ich Angst vor dem Virus. Ich konnte in dieser Zeit nicht mehr so aktiv sein und mich nicht mit anderen Frauen über meine Probleme austauschen.

Zudem gab es für viele Frauen plötzlich keine Arbeit mehr, vor allem für diejenigen, die als Hausangestellte gearbeitet hatten und deren Arbeitgeberinnen sie aus Angst vor einer Ansteckung entlassen haben. Daher waren noch mehr Frauen ohne Einkommen und einige haben sogar hungern müssen. Auch die Gewalt gegen Frauen hat in dieser Zeit stark zugenommen, besonders die häusliche Gewalt.

 

Wie hat euch in dieser Zeit die Regierung unterstützt?

Wir hatten zu wenig Unterstützung von der zuständigen Verwaltung in Santarém. Aber das Schlimmste in der Bolsonaro-Zeit war der Mangel an Informationen für die Bevölkerung. Niemand wusste, wie und wo man sich behandeln lassen kann.

Die Pandemie hat das Leben der Menschen stark durcheinander gebracht. Viele Menschen wurden ohne Informationen alleine gelassen und sind psychisch erkrankt. Außerdem fehlte es an Medizin.

Klar ist auch, dass die Verantwortung nicht allein die Munizipverwaltung in Santarém trägt, denn diese ist ja von höheren Regierungsebenen abhängig. Es fehlte an Medikamenten in den Gesundheitsstationen und auch an Ärzten, denn nach dem Abzug der Kubaner, die in den Basisgesundheitsstationen gearbeitet haben, standen diese ohne Ärzte da.

Was würdest du als Frau grundsätzlich anders machen, auf Ebene eures Dorfes und im weiteren Sinne?

Noch mehr die Gemeinschaft zusammenbringen. Ich bin in der Kirche engagiert. Für mich ist das sehr wichtig und mein Glaube gibt mir die Kraft, mich für die Rechte der Frauen und vor allem auch gegen Gewalt zu engagieren. Wir müssen die Gewalt gegen Frauen noch mehr öffentlich machen, denn viele Frauen verschweigen die erlebte Gewalt und reden nicht über sie. In den letzten Jahren hat die Gewalt gegen Frauen stark zugenommen, sie ist eskaliert und auch für alle sichtbar geworden. Wenn einer Frau Gewalt geschieht oder eine Frau ermordet wird, spüren wir das alle und leiden darunter.

Auch ich bin in meinem Engagement beeinträchtigt. Seit zehn Jahren werde ich von jemandem verfolgt und habe manchmal auch Angst, mein Haus zu verlassen. Es ist jemand, der sich an meinem Engagement für Frauen stört und mir Morddrohungen zukommen lässt. Auch heute noch habe ich Angst, in die Gemeinde zu gehen, z. B. in die Kirche oder zu Versammlungen, weil ich Angst habe, dass diese Person in der Nähe sein könnte. Das war etwas, das mich sehr geprägt hat. Wenn ich aktuell etwas für die Gemeinschaft tun könnte, würde ich es tun.
 

Was muss sich ändern, damit es dir gut geht?

Damit es mir gut geht, muss ich mich um meine Gesundheit kümmern, auch um meine Psyche, denn die wurde zuletzt sehr erschüttert, und eigentlich bin ich eher eine starke Frau. Aber ich glaube, dass ich mich erholen und aus dieser Situation herauskommen werde, weil ich weiterhin mit Willenskraft und Mut für bessere Zeiten kämpfe. Nicht nur für mich, sondern für alle Frauen, die in Frauengruppen in den Organisationen mitarbeiten.

Denn das ist es, was uns stärker macht. Und ich danke der ASW, dass sie mich als Frau nach meiner Meinung gefragt hat, denn das bedeutet eine Stärkung für mich und die anderen Frauen. Es ist eine Anerkennung für unsere Arbeit an der Basis. Wann immer ich etwas zur Verbreitung von Information zu unsere Arbeit und unserem Leben hier beitragen kann, mache ich das sehr gerne. Herzlichen Dank!

Das Interview führte Silke Tribukait Ende Oktober 2022