Landgrabbing ist eine Bedrohung für Kleinbauern im Globalen Süden

Der Begriff Landgrabbing (wörtl. „Land wegschnappen“) wurde in der Nahrungskrise 2007-08  geprägt, als sprunghaft gestiegene Lebensmittel- und Rohstoffpreise zu einem beispiellosen Rennen auf die verfügbaren Ackerflächen der Welt führten. Über Kauf oder langlaufende Pachtverträge sicherten sich Getreidedefizit- und Wüstenländer wie China, Korea, Saudi Arabien oder Katar ihre künftige Ernährungsbasis. Investoren und Agrarkonzerne setzten auf Agrarrohstoffe als neue Profitquellen. Andere sahen in Ackerland einfach einen sicheren Hafen für überschüssiges Kapital. Denn 2008 war auch das Jahr der Finanzkrise.

Land im Fokus von Investoren

In der Folgezeit sollte sich Land als sichere Sachanlage für Investoren und die Finanzwirtschaft etablieren und aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB gerade auch für europäische Anleger an Bedeutung gewinnen. Bald mischten auch Pensionsfons und Versicherungen mit, u.a. auch die Münchner Rück, die Entwicklungsbank DEG oder die Ärztepensionskasse aus Westfalen (ÄVWL).

Als sich im Juni 2012 in London Investoren zu einem „Agriculture Investment Summit“ trafen, machte ein Bündnis von 60 europäischen Nichtregierungsorganisationen in einer gemeinsamen Erklärung auf die Rolle von Pensionsfonds bei Landraub aufmerksam. Und damit auch auf die Gefahr, dass arglose europäische Renter*innen ihren Lebensabend auf dem Rücken von Kleinbäuer*innen des Globalen Südens sichern könnten.

Im gleichen Jahr hatte es aber auch eine erfreuliche Entwicklung gegeben: Angesichts der Dynamik, die große Landaneignungen im Süden gewonnen hatten, hatte das Ernährungssicherheitskomitee der UN-Agrarorganisation (FAO) globale Mindeststandards für Staaten im Umgang mit Landkäufen verabschiedet, kurz VGGT. Und doch war die Freude der Zivilgesellschaft nicht ganz ungetrübt, denn die Leitlinien blieben freiwillig.

Wie wirksam sind die freiwilligen FAO-Standards für Landkäufe?

Das unabhängige Land-Monitoring-Netzwerk „Land Matrix“ hat im September 2021 eine Bilanz der zwischen 2008 und bis 2020 verzeichneten (also öffentlich gewordenen) 1.865 großen Landdeals (Large Scale Land Acquisitions LSLA; insgesamt 33 Mio. ha) vorgelegt und darin auch die Umsetzung der freiwilligen Leitlinien thematisiert. Diese sei nach wie vor gering, heißt es in dem Bericht. „Unsere Analyse zeigt, dass beispielsweise in Afrika fast ein Drittel der bewerteten Geschäfte die VGGT-Richtlinien und -Standards überhaupt nicht einhalten.“
So seien betroffene Gemeinden nicht konsultiert und Kleinbäuer*innen, Hirt*innen und Sammelwirtschaft Betreibende von ihrem Land vertrieben worden. Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung seien zu wenige entstanden, allerdings mit regionalen Unterschieden und abhängig von der angebauten Feldfrucht. In Südostasien hatte der recht arbeitsintensive Palmölsektor einen Beschäftigungseffekt. Im Durchschnitt aber, so der Bericht, seien weniger als 0,5 % der Arbeitskraft der von LSLA betroffenen Länder auf diesen akquirierten Landflächen beschäftigt.

Besonders katastrophal ist die Umweltbilanz von LSLAs, denn sie tragen „wesentlich zur Entwaldung, zur Zerstörung von Lebensräumen und zur Verschlechterung der Bodenqualität bei und sind folglich mit massiven Verlusten an biologischer Vielfalt und hohen Kohlenstoffemissionen verbunden.”
Und weil 54 % aller in der Land Matrix-Datenbank erfassten Deals für den Anbau wasserintensiver Kulturen wie Baumwolle, Ölpalme, Kautschuk und Zuckerrohr bestimmt sind, sind die Auswirkungen auf die Wasserhaushalte der Regionen gravierend.

Auch die Prognose von Land Matrix ist nicht rosig: Nachdem der Ansturm auf Land des globalen Südens nach 2010 leicht abgeflaut war, könnte er nun wieder zunehmen, „wenn die Volkswirtschaften versuchen, sich von der pandemiebedingten Wirtschaftskrise zu erholen“.