Es war schon im Jahr 2016, als uns der brasilianische Kleinbauer und self-made Agrarökologe Pastana aus Bacuri berichtete, wie er selbst sein Saatgut vermehrt und seine Pflanzen im Amazonasgebiet anbaut – Agrarökologie als Anbaupraxis, ohne sie als solche zu benennen. „Ich experimentiere nun schon seit über 30 Jahren mit meinen Pflanzen. Wenn ich die Natur beobachte, kann ich ihre positiven Eigenschaften für mich nutzen. Manchmal entdecke ich durch Zufall neue Pflanzenkombinationen, die sich gegenseitig in ihrem Wachstum unterstützen.“
Die Natur als Vorbild oder Rohstoff?
Pastana beschreibt in diesem kurzen Statement einen Grundgedanken der Agrarökologie, die uns und unseren Partnern als logischste und zukunftsträchtigste Form der weltweiten Landwirtschaft erscheint: Die Natur als ein schützenswertes Vorbild und nicht nur Rohstoff und Produktionsfaktor, der bei unsachgemäßer „Behandlung“ irgendwann erschöpft ist und uns keine guten Ernten mehr liefert.
Eine gute Ernte ist das, was sich alle (Klein)Bäuer:innen, Gärtner:innen und Landwirt:innen auf der ganzen Welt wünschen und was wir alle brauchen. Eine gute Ernte ist die Grundlage für ein gutes Leben für alle. Doch die Realität holt uns immer häufiger ein. Denn viele Faktoren sorgen dafür, dass die Ernten nicht gesichert sind und sich immer mehr Kleinbäuer:innen kaum noch selbst versorgen, geschweige denn, Teile ihrer Ernten als Einkommensquelle verkaufen können. Der menschengemachte Klimawandel und seine Auswirkungen mit Extremwetterereignisse wie u.a. Dürren oder Überschwemmungen ist eine Hauptursache. Andere Gründe liegen in der für Böden und Biodiversität fatalen industriellen Landwirtschaft. Sie ist auf maximale Profitorientierung ausgelegt und laugt mit ihrer einseitigen Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen die Böden aus und treibt Bäuer:innen in Abhängigkeitsverhältnisse von (Groß)unternehmen. Zum Beispiel durch gentechnisch verändertes Saatgut, das nur noch auf bestimmte synthetische Dünger und Pestizide reagiert und auch nicht mehr in traditioneller Weise nachgezogen und getauscht werden kann. Höchstleistungssorten verdrängen immer mehr angestammte Pflanzen und reduzieren damit die Diversität. Mais, Reis und Weizen sind in den letzten Jahrzehnten zu den Hauptkulturen auf den internationalen Feldern geworden. Mittlerweile steht deshalb ein Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Fläche vor dem Kollaps.
Hunger und Überfluss
Ein großes Paradoxon ist auch, dass aktuell rund um den Erdball 735 Millionen Menschen Hunger leiden. Und das, obwohl weltweit „dank“ der industriellen Landwirtschaft ca. 4 Milliarden Tonnen (Stand 2022) Lebensmittel produziert und davon wiederum 1 Milliarde Tonnen* wieder weggeworfen werden. Es gibt also ein Problem in der Umverteilung.
Im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit wird viel von „Ernährungssouveränität“ gesprochen. Damit ist gemeint, dass Gemeinschaften selbst bestimmen, was sie essen und produzieren wollen und wie sie das tun. Eigentlich sollte sie eine Selbstverständlichkeit sein. Sie war es auch über viele Jahrhunderte in den meisten Regionen der Erde. Doch die kapitalistische Marktlogik hat im Laufe der Industrialisierung der Landwirtschaft ein absolutes Ungleichgewicht und Missverhältnis zwischen Produzent:innen und Konsument:innen hervorgebracht.
Ernährungssouveränität und Verfügung über Anbau und Saatgut
Palash Chatterjee von unserer indischen Partnerorganisation SMS teilt seine Erkenntnisse über die verschiedenen Dimensionen einer widerstandsfähigen Landwirtschaft und dem Nutzen für den Lebensunterhalt von Frauen durch klimaresistente Landwirtschaft. Er spricht über die Bedeutung von bäuerlichem Anbau und traditioneller Landwirtschaft und sagt: „Die moderne Landwirtschaft nach der grünen Revolution steigert zwar die Erntemengen, aber die Fruchtbarkeit des Bodens und die Gesundheit der Menschen werden beeinträchtigt […] Wenn wir über Gerechtigkeit und Sicherheit [für Frauen] sprechen, müssen wir auch über die Sicherheit von Saatgut und Boden nachdenken. Unsere traditionelle Kultur ist in unserer Landwirtschaft unsichtbar und das hat Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt.“
Auch der Kleinbauer Pastana kommt aus der landwirtschaftlichen Praxis und hat mit der ASW-Partnerorganisation FASE im brasilianischen Bundesstaat Maranhão einen guten Anknüpfungspunkt gefunden, sich über Agrarökologie auszutauschen und viel Neues zu lernen: „Mir haben vor allem Techniken gefehlt, wie ich auch in der Regenzeit gut anbauen kann.“ Alles was er lernt, probiert er sofort aus. Sein Wissen gibt er gern weiter. Mittlerweile kommen oft Gruppen, die bei Netzwerktreffen von ihm gehört haben, vorbei und lassen sich vieles erklären. „Ohne den Austausch wären wir nur halb so erfolgreich in unseren Anbaumethoden. Und auch der Austausch von Saatgut ist wichtig, damit wir in der Region die Vielfalt der Pflanzen und Früchte erhalten können“, pflichtet eine Teilnehmerin Pastana bei. Viele Frauen schließen sich auch in kleinen Gruppen und Kooperativen zusammen und vermarkten ihre Erträge gemeinsam. So schaffen sie für sich und ihre Familien kleine Einkommen, dank guter Ernte.
Franziska Kohlhoff
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