Neue Autobahnen und die Mogelpackung Elektroauto

Unsere imperiale Lebensweise schadet nicht nur dem Klima


Zum 3. März 2023 hatten die jungen Aktivist:innen von Fridays for Future wieder zum Klimastreik aufgerufen. Denn einen Beschluss des Bundestages zum schnelleren Ausbau von Infrastruktur will Verkehrsminister Wissing nun auch für den Ausbau von Autobahnen nutzen. „Damit der Verkehr schneller fließen kann“, so die Logik.

Doch können wir uns weitere Autobahnen leisten? Viele junge Menschen sagen Nein. Sie weisen vor allem darauf hin, dass es auch im Sinne des nachgebesserten deutschen Klimagesetzes von 2021, demzufolge die Emissionen bereits bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken müssen, kein „Business as usual“ mehr geben darf. Und gerade im Verkehrssektor muss viel passieren, trägt er doch zu 20 % zu den Treibhausgas-Emissionen bei. Er ist übrigens der einzige Sektor, in dem diese in den letzten Dekaden nicht gesunken sind.

Parallel zum Autobahnausbau, so versprach der Verkehrsminister bereits Ende 2022, wird „mit Hochdruck“ ein „flächendeckendes und nutzerfreundliches Ladenetz für E-Autos“ entstehen. Ziel der Bundesregierung sind eine Million öffentlich zugängliche Ladepunkte im Jahr 2030 – bisher sind es rund 70.000. So solle Deutschland mit seiner starken Autoindustrie „Leitmarkt für die E-Mobilität“ werden.

Viele Elektroautos – zu wenig grüner Strom

Doch soll die Elektromobilität auch „grün“ bzw. klimaschonend sein, stellt sich die Frage, woher der regenerative Strom für all die Ladestellen kommen soll. Bislang gibt es ihn nicht und eine realistische Lösung für die Anforderung, die Kapazitäten aus Sonne und Wind in den kommenden 7 Jahren so zu erweitern, dass Elektromobilität zum Erfolg wird, zeichnet sich nicht ab.

Das hat die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann in ihrem jüngsten Buch „Das Ende des Kapitalismus“ auf Basis aktueller Zahlen gezeigt und dabei die Reduktionsanforderungen für ein insgesamt klimaneutrales Deutschland durchgespielt. (Denn würde der verfügbar grüne Strom nur in die Autobatterien gehen und dann andernorts fehlen, wäre die E-Mobilität erst recht eine Mogelpackung.)

Zusammen mit Wasserkraft und Biomasse decken Sonne und Wind heute rund 42 Prozent des Stromverbrauchs und rund 18 Prozent des Endenergieverbrauchs ab. Für mehr Biomasse fehlen Agrarflächen, also muss vor allem die Stromproduktion aus Wind wachsen. Doch auch hier wird erbittert über weitere Flächen gestritten, so dass der Zubau nicht vorankommt. Also setzt man z.B. auf Solarstrom aus der Sahara, auch aus Marokko, siehe unten. Aber wie soll der Strom nach Europa gelangen?

Ist grüner Wasserstoff die Lösung?

Dazu würden laut Ulrike Herrmann 100 neue Stromleitungen durch Spanien und Frankreich gebaut werden müssen, die mindestens absurde 1.000 Mrd. Euro kosten, unterirdisch verlegt sogar 4.000 Mrd. Realistisch sind also nur die Umwandlung des Stroms in grünen Wasserstoff über Elektrolyse-Technik und der Transport über Schiffe und Pipelines. Doch für die Umwandlung in Wasserstoff gingen 30 % des Stromes verloren. Außerdem ist dieses Verfahren nur mit Süßwasser möglich, das in der Sahara fehlt. Also braucht es Anlagen zur Meerwasserentsalzung, die weiteren Strom fressen, das gleiche gilt für die Verflüssigung des Wasserstoffes bei minus 253 Grad für den Transport. Wenn der Wasserstoff nun in Deutschland wieder in Strom zurückverwandelt wird, gehen nochmal 40 % verloren. Am Ende bleiben 30 Prozent des Stroms.

Die Batterieproduktion schadet auch Menschen

Auch die Produktion der notwendigen Batterien ist nicht gratis zu haben. So hat Agora Verkehrswende 2019 berechnet, dass die Produktion eines Elektroautos mit einer Batteriekapazität von 35 Kilowattstunden eine fast doppelt so hohe Klimawirkung wie die Herstellung eines vergleichbaren Verbrennungsfahrzeuges hat. „Hiervon entfällt ein Großteil auf die Herstellung der Batterie“, so das Umweltinstitut.

Vor allem aber braucht es für E-Auto-Batterien große Mengen der Rohstoffe Lithium und Kobalt. Für das Auftun neuer Lithium-Lieferanten besuchte unser Bundeskanzler kürzlich auch Chile, in dessen Salzwüsten weltweit die größten Mengen dieses Minerals lagern.

Kobalt kommt vorrangig aus dem Kongo, wo es, neben Kupfer und Coltan, noch immer zur politischen Instabilität beiträgt, weil verschiedene bewaffnete Gruppen um die Kontrolle der begehrten Mineralien kämpfen. Selbst wenn inzwischen viele Minen zertifiziert und „rebellenfrei“ sind, lassen dennoch die Arbeitsbedingungen zu wünschen übrig. Kleinschürfer stellen Tagelöhner ein, die unzureichend abgesichert sind. Außerdem sind die Kontrollen nicht perfekt – es ist wahrscheinlich, dass immer noch Kobalt und Coltan aus Rebellenminen in die Lieferketten des zertifizierten Handels gelangen.
Letztlich befeuert also unser Rohstoffbedarf dortige Bürgerkriege und trägt zu Menschenrechtsverletzungen im Kongo bei, zu Gewalt und Ausbeutung von Minenarbeitern.

Gibt es den sauberen grünen Wüstenstrom?

Eine „Schmuddelseite“ hat aber auch das Projekt des grünen Wüstenstroms. Er wird nämlich auch aus Marokko kommen. Nach der Weltklimakonferenz im November 2022 in Sharm el Sheikh gab Wirtschaftsminister Habeck bekannt, in den kommenden zwei Jahren gemeinsam mit weiteren EU-Staaten in eine Stromverbindung nach Marokko investieren zu wollen.

Doch Marokko ist alles andere als ein guter Partner, denn es verletzt Menschen- und Völkerrecht und hat in der Westsahara ein illegales Besatzungsregime aufgebaut. Die EU will zwar explizit keine grüne Energie aus den besetzten Gebieten importieren. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die in Marokkos Staatsgebiet von der in der Westsahara erzeugten Energie unterschieden werden kann.

Auch aus solchen Gründen denken wir, dass es Zeit ist, aus dem Traum einer „Vergrünung“ unserer imperialen Lebensweise und unseres Bedürfnisses nach Individualverkehr aufzuwachen. Die Zeit für Illusionen ist abgelaufen, wir brauchen einen neuen Realismus, wie ihn vor allem die junge Generation einfordert.

Mehr: Siemens Energy lehnt Verantwortungsübernahme für Verletzung des Völkerrechts durch Windenergiepark in der Westsahara ab