Zeitenwende im afrikanisch-europäischen Verhältnis?

Wir brauchen eine ehrliche, respektvolle und dekoloniale Afrikapolitik Europas


Der afrikanische Kontinent gerät verstärkt in die Aufmerksamkeit der deutschen und europäischen Außenpolitik. Angesichts des Ukrainekrieges hatten sich viele afrikanische Regierungen bei der Verurteilung des russischen Angriffs in der UN enthalten. Nun will die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die europäischen Interessen in Afrika bekräftigen. Mit fragwürdigem Erfolg.

Nachdem der russische Außenminister Lawrow kürzlich Südafrika besuchte, veröffentlichte das Auswärtige Amt einen extrem peinlichen Tweet mit einem Leoparden- Emoji. Der Versuch, die Südafrikaner:innen auf vermeintlich lustige Weise zu belehren, dass Lawrow dort russische Narrative und Lügen verbreitete, kam auf dem afrikanischen Kontinent sehr schlecht an. „Warum Afrika genug von europäischer Arroganz hat“ titelte Der Spiegel. Eine Sprecherin der Afrikanischen Union bemerkte: „…Ein Außenministerium, das widerliche koloniale Klischees bedient, um geopolitische Punkte zu machen« ….. „Respektiert uns einfach so, wie wir euch respektieren.“

Mit europäischem Tunnelblick? 

Kurz zuvor war Frau Baerbock mit ihrer französischen Amtskollegin Colonna schon in Äthiopien eingetroffen, um für Unterstützung der europäischen Interessen in der Ukraine zu werben. Äthiopien, das nach einem furchtbaren Bürgerkrieg mit vermutlich über 500.000 Todesopfern in einen Friedensprozess eingetreten ist, steht vor einer gewaltigen Hungersnot. Dieses nahmen die beiden Außenministerinnen zum Anlass, Putins Angriffskrieg für die dramatische Hungerkrise als eine Hauptursache zu benennen und öffentlichkeitswirksam ein Getreidelager mit einer Getreidespende aus der Ukraine zu besuchen.

Der Bürgerkrieg in Äthiopien zwischen der Zentralregierung und der Rebellenarmee aus dem Bundesstaat Tigray war weitgehend  von Europa ignoriert worden, es gab durch die Konzentration auf die Ukraine keine nennenswerten diplomatischen Bemühungen, den Konflikt zu beenden oder die Zivilbevölkerung zu schützen, ausreichend humanitäre Hilfe zu leisten, geschweige denn Fluchtwege zu öffnen. Dass Baerbock und Colonna sich jetzt nicht mal die Zeit nahmen, mit der tigrayischen Seite über die aktuellen Zustände zu sprechen, kam bei einigen afrikanischen Beobachter:innen nicht sonderlich gut an. Zu sehr war ersichtlich, dass es vorrangig nicht um die Situation der Menschen in Äthiopien ging, sondern darum, die Regierung Abiy auf die Seite des Westen zurückzuholen und die Front gegen Russland auszubauen. Daran änderte auch die richtige und wichtige Stellungnahme von Frau Baerbock zur Verurteilung der Vergewaltigungen von äthiopischen und ukrainischen Frauen als Kriegswaffe wenig.

….und Frankreichs Afrikapolitik?

Dass gerade Frankreich derzeit nicht der beste Partner ist, um Vertrauen in Afrika zurückzugewinnen, zeigt sich aktuell in der Sahelzone. Nachdem bereits Mali die französischen Truppen aus dem Land geworfen hat, hat nun auch das krisengeschüttelte Nachbarland Burkina Faso die ehemalige französische Kolonialmacht des Landes verwiesen. „Putin triumphiert in Afrika mit Wagner-Hilfe über den Westen“!! titelte die Frankfurter Rundschau dazu. Besonders ärgerlich für die strategischen Bemühungen um weitere Unterstützung des antirussischen Kurses Europas ist der Umstand, dass die beiden von an die Macht geputschten Militärregimen geführten Länder auf Russland zugegangen sind und zumindest Mali ein Abkommen mit der für ihre Brutalität und Menschenverachtung bekannte russischen Söldnergruppe Wagner geschlossen hat. Der Hintergrund dieser fragwürdigen Entwicklung von Putsch und Einschaltung Russlands liegt darin, dass beide Länder das Vertrauen völlig verloren haben, dass mit dem französischen Engagement in der Region mehr Sicherheit und Gerechtigkeit einkehren wird.

Von einem dominierten zu einem souveränen Afrika

Auch hier haben die europäischen Versuche vor der zunehmenden Einflussnahme Russlands, vor den Narrativen und Manipulationen zu warnen, nur sehr wenig Widerhall gefunden. Im Gegenteil. Zum Teil wird diese Art der Intervention als Paternalismus betrachtet, der postkoloniale Ansprüche zum Maßstab setzt und nicht anerkennt, dass die Länder Afrikas inzwischen eigene Entscheidungen treffen. In dem besagten Artikel der FR wird der afrikaerfahrene französische General Clement-Bollé zitiert. Er spricht von „einer Zeitenwende von einem dominierten zu einem souveränen Afrika. Heute entscheiden die Afrikaner selbst, sie haben Ihre eigenen Lösungen, und dies zu ihren Konditionen.“ Paris könne nicht mehr wie früher Lektionen zur Demokratie erteilen und woanders Autokratien unterstützen. 

Zwei Dinge sind hier wichtig: Zum einen gilt es zu begreifen und anzuerkennen, dass für die afrikanischen Länder die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Russland und China der Ausweg aus dem Narrativ der Alternativlosigkeit des neoliberalen Westens sind. Demokratie bedeutet eben eine Wahl zu haben, eine Alternative - in diesem Fall zu der postkolonialen Ausbeutungs- und Hoheitspolitik Frankreichs. Dass weder Russland noch China eine besonders tolle Alternative sind und ebenfalls imperiale bzw. neokoloniale Interessen verfolgen, ist den meisten Afrikaner:innen übrigens klar. Der Ukrainekonflikt hat dieses Narrativ der Alternativlosigkeit weiter verstärkt. Der Westen in Form der NATO-Staaten hat alleine festgelegt, wie die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Reaktionen auf den völkerrechtswidrigen russischen Einmarsch ausgestaltet werden. Dabei wurde wenig oder gar nicht auf die teils katastrophalen Auswirkungen für die Menschen im globalen Süden geachtet. Der Westen bestimmt, Afrika hat zu folgen - es kann nur diesen einen Weg geben. Das hat aus den Erfahrungen des globalen Südens mit Freiheit und Demokratie im übergeordneten Sinne nicht allzu viel zu tun.

Die Jugend definiert die Zukunft

Ein zweiter Punkt betrifft die Wahrnehmung der Menschen in Afrika. Es sind besonders die jungen Menschen der Zivilgesellschaft in Mali, Burkina Faso, dem Senegal und anderswo, die gerade gegen die französische Vorherrschaft demonstrieren. Der kamerunische Philosoph Achille Mbembe sieht in dem Aufbegehren der afrikanischen Jugend eine Zeitenwende im Verhältnis zu den Kolonialmächten. Die afrikanische Jugend begehre auf, denn sie verfolge die sozialen Medien und sei politisch viel besser im Bilde als früher.

Die Frage der zukünftigen Ausgestaltung von Demokratie und Zusammenarbeit mit externen Mächten wird von dieser neuen afrikanischen Generation bestimmt. Schon 2014 war es die Zivilgesellschaft und besonders die Jugendbewegung in Burkina Faso, Senegal und anderswo, die korrupte Eliten zu Fall brachte und auf eine bessere - gerechtere und demokratischere -  Zukunft hoffte. Er wäre deshalb dringend nötig, eine zukünftige deutsche und europäische Afrikapolitik an den Interessen und Wahrnehmungen der jungen Afrikaner:innen zu orientieren, statt immer weiter alte, korrumpierte Eliten zur Unterstützung der eigenen Interessenpolitik in den afrikanischen Ländern zu protegieren. Der Wert von Demokratie misst sich nicht alleine daran, ob alle paar Jahre gewählt werden darf. Für die Afrikaner:innen misst es sich daran, ob sie die Möglichkeit haben werden, selbst zu bestimmen, wie ihr Leben aussehen wird. Das bedeutet Chancen auf ausreichende Ernährung angesichts des Klimawandels, Bildung und berufliche Perspektiven, Geschlechtergerechtigkeit und die Möglichkeit einer weltweiten Mobilität.

Für eine positive Zeitenwende im europäischen Verhältnis zu Afrika müssen wir die deutsche Außenpolitik vom Kopf auf die Füße stellen- Unterstützen Sie unsere Petition an Frau Außenministerin Baerbock mit den Forderungen von Projektpartner:innen der ASW aus Burkina Faso!

Tobias Zollenkopf