Mit ungewöhnlichen Thesen zu Sklaverei in Afrika stößt Ibrahima Thioub immer wieder kontroverse Debatten an. Am 01. Oktober 2019 hielt der senegalesische Historiker und Rektor der Université Cheikh Anta Diop in Dakar einen Vortrag im Marc Bloch Zentrum in Berlin zur Geschichte der Sklaverei.
Sklaverei ist ein Transformationsprozess
Thioub definiert Sklaverei als etwas Universelles, das in allen Gesellschaften aufträte. Es könne keine Sklaverei ohne Gewalt geben. Ihm zufolge könne man nicht bei sich zuhause Sklav*in sein, deswegen sei Sklaverei immer auch mit Zwangsmigration verbunden. Thioub unterscheidet zwischen Gefangenen und Sklav*innen: Ihm zufolge durchliefen Menschen erst einen langen, an sich nie endenden Transformationsprozess, in dem ihnen der Name und die Erinnerung genommen, sie desozialisiert und dehumanisiert würden, wodurch sie zu Sklav*innen würden.
Historiker*innen greifen zu kurz
Thioub kritisiert auch die Darstellung des Sklavenhandels durch Historiker*innen, da diese auf den Kauf der Sklav*innen durch die Europäer fokussiert seien: „Man gewinnt bei ihnen den Eindruck, dass die Sklaven vom Himmel gefallen sind.“ Stattdessen fordert er: „Man muss die ganze Kette betrachten.“ Es sei einfacher, die Afrikaner*innen nur als Opfer zu sehen, jedoch sei der Sklavenhandel ohne die Kooperation afrikanischer Eliten mit den Europäer*innen gar nicht möglich gewesen. Ansonsten verleugne man die Komplexität und die Handlungsmacht der afrikanischen Gesellschaften.
Kontinuität bis zur Gegenwart
Das überträgt er auch auf die Gegenwart, denn bis heute führe eine Kooperation afrikanischer Eliten und westlichem Kapitals zur erzwungenen Migration vieler Afrikaner*innen. Dabei schien Thioub verärgert von den europäischen Debatten zur Migration zu sein, in denen nie Afrikaner*innen selbst zu Worte kämen und die daher eine sehr eingeschränkte Perspektive verfolgten. Europa habe afrikanische Gesellschaften zerstört. Man könne nicht in den Kongo migrieren, und sei es nur in Form von Kapital, und nicht wollen, dass die Kongoles*innen auch migrierten. Darüber hinaus sei der Blick auf die aktuelle Migration auch deshalb wichtig, weil die Gegenwart „erlaubt, den Sklavenhandel zu verstehen“.
Interessant ist dies vor allem auch in Hinblick auf die europäische Migrationspolitik, die bekanntlich eher darauf abzielt, Migrationsursachen zu bekämpfen, während Europa zweifelsohne von den Ressourcen Afrikas profitiert.
Die Kategorie "schwarz" zu sein
Um den Sklavenhandel und die europäische Dominanz zu legitimieren, sei die Konstruktion des „Anderen“ erforderlich gewesen, so Thioub. Diese kolonialistische Ideologie beherrsche teilweise bis heute das Denken. Ungewöhnlich ist auch seine Kritik an dem, was er „die Kategorie, Schwarz zu sein“, nennt: Man habe den Afrikaner*innen in der Sklaverei ihre individuellen Geschichten genommen und ihnen eine neue Identität gegeben, nämlich Schwarze zu sein.
In der Erinnerungskonstruktion habe das zu der Ansicht geführt, dass sie nur deshalb Gefangene gewesen seien, weil sie Schwarze waren. Aber: „Alle Gefangenen waren Schwarze, aber nicht jeder Schwarze war Gefangener.“ Dennoch würde die*der Sklav*in nur über ihre*seine Hautfarbe definiert, die durch die Erinnerung in ein natürliches Phänomen transformiert worden sei.
Damit verfolgt Thioub einen anderen Ansatz als viele People of Colour, die „Schwarz“ weniger als Hautfarbe denn als gesellschaftspolitische Zugehörigkeit betrachten und auf soziale Ungerechtigkeiten verweisen, die ihren Ursprung auch im Kolonialismus haben. Dabei wird diese Beschreibung durchaus auch als Teil der Identität betrachtet.
Debatte um eine neue Geschichtsschreibung
In der afrikanischen Forschung habe man, so Thioub, die Konstruktionen akzeptiert, die die Sklavenhalter*innen benutzt haben. Von Historiker*innen fordert er deswegen, die Erinnerung zu kritisieren und zu dekonstruieren. Durch neue Akteur*innen wie Frauen und Nachkommen ehemaliger Sklav*innen sei seit den 2000er-Jahren eine Debatte für eine neue Geschichtsschreibung in afrikanischen Ländern aufgekommen, die eben auch die Verantwortung afrikanischer Eliten und die Komplexität afrikanischer Gesellschaften einbeziehe.
Nadja Kasolowsky
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