Migration gehört seit langem zu den etablierten (Über)Lebensstrategien in Westafrika. Der vorliegende Artikel liefert einen Überblick über westafrikanische Mobilitätsmuster und zeichnet an einem Beispiel aus dem Senegal ein differenziertes Bild von Wanderungsformen und mobilen Lebenspraxen.
Der Beitrag entkräftet auch den Mythos eines Massenansturms auf Europa. Er zeigt auf Basis diverser Studien, dass nur ein geringer Teil der Migrant:innen aus Subsahara-Afrika und insbesondere aus Westafrika Europa zum Ziel hat. Die überwiegende Mehrheit der westafrikanischen Migrant:innen bleibt in Afrika.
Vor diesem Hintergrund diskutieren die Autoren auch Sinn und Unsinn der europäischen Migrationspolitik mit ihrem Fokus auf Eindämmung von Migration und ihrer Vorstellung einer ausschließlich von Süd nach Nord gerichteten Mobilität afrikanischer Migrant:innen.
Clemens Romankiewicz hat den Text für uns im Dezember 2019 überarbeitet und mit aktuellen Zahlen versehen, er erschien erstmals 2013 in der Geographischen Rundschau. .
Migration in Westafrika – früher und heute
Die hohe Mobilität in Westafrika hat eine lange Tradition und muss im Kontext historischer Migrationsdynamiken betrachtet werden. Bereits weit vor Beginn der Kolonialzeit gehörten saisonale Weidewanderungen, der trans-saharische Handel oder Pilgerreisen nach Mekka zu wichtigen Mobilitätsmustern westafrikanischer Gesellschaften (vgl. Merabet und Gendreau 2007). Die Migrationsdynamik des 20. Jahrhunderts hingegen ist durch koloniale Transformationen der Mobilitätsmuster geprägt.
Vor allem der enorme Bedarf an Lohnarbeitern für die Kaffee-, Kakao- und Erdnussplantagen, für Goldminen und große Infrastrukturprojekte führte zu einem Nord-Süd-Wanderungsmuster, das aus den Binnenstaaten Niger, Burkina Faso und Mali auf die Küstenländer Senegal, Elfenbeinküste, Ghana und Nigeria gerichtet war. Dies beschleunigte das Wachstum von neuen Hafenstädten wie Accra, Abidjan, Lagos und Dakar, die damit zu bedeutenden wirtschaftlichen Zentren und Migrationspolen avancierten. Innerhalb der Region bildete sich eine vorwiegend zirkuläre Arbeitsmigration heraus, die sowohl wirtschaftlich attraktive ländliche Regionen als auch die Küstenstädte zum Ziel hatte (vgl. Bakewell und de Haas 2007). Das nach Süden gerichtete Migrationsmuster kennzeichnete zusammen mit den Prozessen der Agrarkolonisation im westafrikanischen middle belt (Manshard 1986) auch die Binnenmigration.
Aufgrund wirtschaftlicher und politischer Krisen büßten Ghana (ab 1966), Senegal (Anfang 1970er) und Nigeria (ab 1983) ihre große Bedeutung innerhalb dieser westafrikanischen Migrationsmuster ein, und die Elfenbeinküste blieb der einzig wichtige Anziehungspunkt in der Region.
Ab den 1990er Jahren veränderte sich das regionale Migrationsmuster grundlegend. Die Elfenbeinküste verlor aufgrund von wirtschaftlichem Niedergang, wachsendem Nationalismus und bewaffneter Konflikte seit 1999 ihre herausragende Stellung.
Zudem kam es zu einer Zunahme und Diversifizierung der Migration nach Europa und Nordamerika. Darüber hinaus etablierten sich Südafrika als wirtschaftlicher Motor des Kontinents sowie Libyen mit der hohen Nachfrage an Arbeitskraft im Zuge seiner panafrikanisch gerahmten Öffnung nach Süden als neue Migrationspole.
Das Anwachsen der trans-saharischen Wanderungen in Richtung Libyen, der anderen Maghreb-Länder sowie nach Europa führte dazu, dass sich Sahelstaaten wie Mali, Niger, Mauretanien und Senegal zu Transitländern entwickelten (vgl. Bakewell und de Haas 2007).
Mit der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes 2011 fiel dann auch Libyen als Migrationsziel weg.
Migrationsnetzwerke ermöglichen zirkuläre Bewegungen
Das aktuelle westafrikanische Migrationsmuster lässt sich wie folgt charakterisieren: Der größte Teil der Wanderungen vollzieht sich intraregional. Allein 66,9 % aller internationalen Migranten aus Westafrika verbleiben innerhalb der Region, während lediglich 17,2 % in Europa und 8,5 % in den USA und Kanada leben (Weltbank 2017).
Etablierte, verwandtschaftliche Migrantennetzwerke bilden die Basis für die Aufrechterhaltung dieser intraregionalen Migration wie etwa der aus Mali in Richtung Elfenbeinküste (vgl. Romankiewicz und Doevenspeck 2013). Darüber hinaus sind die Städte Westafrikas weiterhin bedeutend für Binnenmigrationen sowie als Zwischenstation für grenzüberschreitende Wanderungen Richtung Europa.
Als etablierte wirtschaftliche und soziale Praxis der (Über)Lebensstrategie verstanden, kann die westafrikanische intraregionale Migration mit dem Begriff der zirkulären Migration beschrieben werden. Gemeint ist hier eine Daseinsform und „Migrationskultur“ (Klute und Hahn 2007), die sich nicht zwangsläufig an Staatsgrenzen, sondern vielmehr an etablierten Migrationskorridoren und -netzwerken sowie saisonalen und regionalen Arbeitsmarktlagen orientiert und auch völlig neue Zielregionen mit einschließt (vgl. Bensaâd 2008). Dabei impliziert die zirkuläre Migration „eine Vorstellung des Hin- und Her-Wanderns, wobei auch Zwischenstationen auf dem Weg zu einem Zielort zu Ankunfts-, Wohn- und Aufenthaltsorten werden können. Eine gelegentliche Rückkehr ins Herkunftsland wird ebenfalls vorgesehen“ (Marfaing 2011, S. 71).
Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen Westafrikas sind zudem diesen zirkulären Migrationsformen angepasst. So wird von staatlicher Seite die intraregionale Mobilität im Angesicht eines generell hohen Bevölkerungswachstums in den westafrikanischen Ländern einerseits als politisches und soziales Sicherheitsventil angesehen; andererseits werden den innerhalb der Migrationsnetzwerke getätigten Rücküberweisungen ein beträchtliches Entwicklungspotential zugeschrieben (vgl. Faist 2008). Zudem befördern zahlreiche Abkommen im Rahmen diverser Institutionen wie ECOWAS (westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) und UEMOA (westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion) die freie Zirkulation von Mensch und Ware in den Staaten Westafrikas.
Migration nach Europa
Zunehmende Migration aus Westafrika nach Europa wird bereits seit den späten 1980er Jahren beobachtet und ist somit bedeutender Bestandteil westafrikanischer Mobilität. De Haas (2008, S. 42) schätzt, dass die Anzahl der in der EU registrierten westafrikanischen Migranten seit 2000 pro Jahr um rund 100 000 Personen zunimmt. Im Vergleich mit der Gruppe der Menschen aus den Maghrebstaaten (ca. 4,96 Mio.) ist jene aus Westafrika mit 1,85 Mio aber immer noch gering (vgl. Weltbank 2017).
Von den derzeit 1,85 Mio. in der EU registrierten Westafrikanern lebt fast ein Drittel in Frankreich, was auf die historisch gewachsenen Verflechtungen zwischen der ehemaligen Kolonialmacht und den frankophonen Staaten zurückzuführen ist (vgl. Sieveking und Fauser 2009). England, Italien, Spanien, Deutschland und Portugal sind weitere wichtige Zielländer, wobei Spanien und Italien als Destinationen im letzten Jahrzehnt erheblich an Bedeutung gewonnen haben (vgl. de Haas 2008).
Für die irreguläre Migration aus Westafrika lässt sich bis 2016 ebenfalls ein Anstieg beobachten (FRONTEX 2019). Bedingt durch den Ausfall der Elfenbeinküste als Anziehungspunkt innerhalb Westafrikas, aber auch durch die zunehmend restriktive Einwanderungspolitik Libyens gegenüber Arbeitsmigranten aus Subsahara, stiegen seit 2000 die Versuche, irregulär aus Marokko in die spanischen Enklaven Ceuta und Mellila und dann über die Straße von Gibraltar auf das spanische Festland oder von Tunesien nach Italien zu gelangen. Libyen, längst kein Einwanderungsland mehr, ist aufgrund seiner anhaltenden politischen Instabilität heute wichtiges Transitland transmediterraner Migration.
Der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX (2019) zufolge erreichte die Zahl der an den EU-Grenzen (See und Land) festgestellten irregulären Migranten aus Westafrika mit 119.000 im Jahr 2016 ihren Höhepunkt, um bis 2018 wegen zunehmend restriktiver Grenzsicherungsmaßnahmen wieder auf 44.000 zurückzugehen.
Skizze europäischer Migrationspolitik
Entgegen der Praxis und Vielfalt der zirkulären Mobilitätsformen, wird der Begriff der zirkulären Migration seitens der EU nur sehr eingeschränkt als Nord-Süd- Kooperationsmodell konzipiert (Marfaing 2011, S. 71), bei dem die EU-Mitgliedsstaaten je nach Bedarf kontingentierte, befristete Aufenthaltsgenehmigungen an Drittstaatangehörige kooperierender afrikanischer Länder erteilen (vgl. KOM 2010).
Dieses Konzept der gesteuerten Migration widerspricht jedoch den intraregionalen Mobilitätsmustern, indem sämtliche grenzüberschreitende Wanderungen Richtung Maghreb zu Transitmigrationen deklariert und die Arbeitsmigranten und Händler als potentiell illegale Migranten stigmatisiert werden, deren Mobilität es zu unterbinden gilt. Dieser Vorstellung folgend etablierte die EU in den vergangenen 15 Jahren ein Grenzkontrollsystem, das irreguläre Migration durch Maßnahmen der extraterritorialen Kontrolle unterbinden soll (Caillault 2012, S. 138), wobei die so genannten Transitländer hier eine Schlüsselfunktion einnehmen.
Mauretanien, Marokko, Tunesien, Senegal und Mali verpflichteten sich 2006, später auch Algerien und Libyen zu einer engen Zusammenarbeit mit der EU beim Schutz der europäischen Außengrenzen. Neben Maßnahmen zur Eindämmung irregulärer Migration wurden Rückübernahmeabkommen vereinbart, die dazu verpflichten, irreguläre Migranten aus Europa wieder aufzunehmen. Im Gegenzug wurde den Transitländern finanzielle und logistische Hilfe zum Aufbau eines Grenzkontrollsystems und zur Umsetzung von Entwicklungsprogrammen zugesichert sowie eine begrenzte Anzahl temporärer Arbeitsgenehmigungen in Aussicht gestellt. Die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX leistet Unterstützung bei der Überwachung der Land-, See- und Luftwege und beteiligt sich an der Ausbildung von Polizei- und Grenzschutzbeamten. Die Kooperationsbereitschaft der westafrikanischen Staaten bei der Unterbindung der Migration steht jedoch nicht nur im Widerspruch zu den im vorherigen Kapitel erwähnten innerafrikanischen Interessen. Sie ist auch mit der seit langem existierenden mobilen und translokalen Lebenspraxis westafrikanischer Gesellschaften nicht vereinbar.
Die Migrationsmuster der Menschen des Senegal
Bereits seit Anfang der 1970er Jahre entwickelte sich der Senegal zum Emigrationsland. Bis 2010 zählten afrikanische Staaten (63 %), allen voran Gambia, Mauretanien, die Elfenbeinküste und Gabun, Europa (36 %) und Nordamerika (3 %) zu den wichtigsten Migrationszielen für Senegalesen (vgl. Weltbank 2010).
Innerhalb Europas war zunächst Frankreich die wichtigste Destination. Für viele Senegalesen entwickelte sich der Emigrant in Frankreich zum Symbol von Erfolg und zum Sinnbild sozialen Aufstiegs. Nach Europa zu gelangen ist bis heute ein begehrtes Ziel, das soziale Anerkennung und finanzielle Absicherung der Familie verspricht.
Rücküberweisungen und Investitionen senegalesischer Migranten in ihre Heimat übersteigen zusammengenommen mittlerweile die Höhe der gesamten öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (vgl. Diané 2009). Auch wenn Frankreich bis heute eine stetige Zuwanderung aus dem Senegal verzeichnet, hat das Land durch seine zunehmend restriktive Einwanderungspolitik seit den 1980er Jahren seine herausragende Stellung als Migrationsziel verloren.
Heute gelten insbesondere Spanien und Italien als die wichtigeren Zielländer senegalesischer Arbeitsmigranten (vgl. Fall et al. 2010), obwohl deren Attraktivität seit 2008 durch die Finanz- und Schuldenkrise in Europa zurückging. Von hoher Bedeutung sind dabei bereits etablierte Migrationsnetzwerke, die zur Selbstverstärkung von Migration beitragen. Bei genauerer Betrachtung dieser multilokalen Netzwerke wird deutlich, dass die senegalesische Migration nicht ausschließlich als unidirektionaler und permanenter Wohnortwechsel betrachtet werden kann. Etwa 2 Mio. senegalesische Migrant:innen befinden sich heute an den unterschiedlichsten Orten der Welt, bewahren Verbindungen zu ihrer Heimat und halten Kontakt mit Familienmitgliedern.
Durch diese Verflechtungen entstanden translokale soziale Räume, innerhalb derer soziale Beziehungen durch eine Vielfalt an Mobilitätsformen, so z. B. zirkuläre Wanderungen, über nationalstaatliche Grenzen hinweg aufrechterhalten werden. Diese translokalen Lebenswelten lassen sich anhand der Migranten aus dem Dorf Nguith verdeutlichen.
Mobil und translokal – Das Migrationsnetzwerk des Dorfes Nguith
Nguith befindet sich etwa 300 km von Dakar entfernt in der ländlichen Region Louga und zeigt im Vergleich mit den umliegenden Dörfern einen hohen Anteil an internationalen Migranten. Die Migrationsgeschichte dieses Ortes lässt sich durch drei Wanderungsphasen charakterisieren: Seit den 1940er Jahren saisonale, zirkuläre Migration in die Städte v. a. nach Dakar, wo während der Trockenzeit mit der Korbmacherei Geld verdient wurde; seit den 1970er Jahren verstärkte Emigration in die Hauptstadt und Orientierung auf andere westafrikanische Länder; seit den 1980er Jahren zunehmende Migration nach Europa. Von Dakar aus, heute wohnen die meisten Nguithois im Stadtteil Guediawaye, reisten 1969 die ersten Migranten nach Frankreich. Aus den Kettenmigrationen der folgenden Jahrzehnte entwickelten sich große Gemeinschaften in Frankreich (Nizza und Paris), Spanien (Madrid, Marbella) und Italien (Bergamo).
Das von Nguith ausgehende Migrationsnetzwerk ist durch besonderen Zusammenhalt und gegenseitige Solidarität gekennzeichnet, was entscheidend zu seiner stetigen Ausbreitung beigetragen hat. Dies erklärt sich einerseits durch die direkten verwandtschaftlichen Beziehungen aufgrund kontinuierlicher innerfamiliärer Heiraten und andererseits durch die Zugehörigkeit zur und Identifikation mit der Tidjaniya-Bruderschaft, eines Sufi-Ordens innerhalb des sunnitischen Islams.
Darüber hinaus förderte die Dorfgemeinschaft bereits seit den 1960er Jahren Schul- und Hochschulbildung. Die aktuelle Migrationsdynamik nach und innerhalb Europas ist sehr vielschichtig. Längerfristige Aufenthalte in Frankreich werden vor allem von Studenten angestrebt, die sich um eine Zulassung an einer Universität bemühen. Arbeitssuchende konzentrieren sich mittlerweile eher auf Spanien und Italien.
Die Wahl des Migrationsziels sowie die Dauer des Aufenthaltes hängen von einer Vielzahl von Faktoren wie beispielsweise der Präsenz von Verwandten, dem Status der Aufenthaltsgenehmigung, der beruflichen Qualifikation und Art der Tätigkeit und des Arbeitsvertrags, oder dem Wohnsitz des Ehepartners und der Kinder ab. So ist es nicht unüblich, dass man z. B. nach Ablauf der Touristensaison in Südspanien im Winter eine befristete Arbeit in der Industrie in Italien annimmt oder für einige Zeit in den Senegal zurückkehrt und anderen Aktivitäten z. B. in Dakar nachgeht.
Regelmäßige Besuche der Verwandtschaft im oder aus dem Senegal sind also gängige Praxis, v. a. wenn die translokale Gemeinschaft der Nguithois einmal im Jahr sowohl in Nguith als auch in einem europäischen Land zum sogenannten Maouloud, dem religiösen Fest der Geburt des Propheten Mohammed, zusammenkommt. Diese Zusammenkünfte festigen einerseits die Gemeinschaft und dienen andererseits der Erörterung der zukünftigen Entwicklung des Dorfes.
Über die Jahre tätigten die Migranten enorme Investitionen in Nguith und finanzierten neben dem eigenen Hausbau u.a. den Bau einer Moschee, eines Gesundheitszentrums und eines Schulgebäudes. Dies soll nicht nur die Lebensbedingungen der Bevölkerung im Dorf verbessern, sondern v. a. Anreiz für eine potenzielle Rückkehr sein, was von einigen Migranten im Ruhestand auch praktiziert wird. Inzwischen absolvieren sogar viele Kinder der in Dakar lebenden Familien ihre Schulausbildung in Nguith, bevor sie zur weiteren Ausbildung wieder in die Hauptstadt oder nach Europa gehen.
Das Beispiel dieses Dorfes verdeutlicht, wie eine translokale Gemeinschaft durch ihre seit langem bestehende hohe Mobilität an den unterschiedlichsten Orten auf mehreren Kontinenten reproduziert wird. Die Aufrechterhaltung und Ausweitung multidirektionaler Mobilität ist damit zu einem wesentlichen und notwendigen Bestandteil sozialer Praxis geworden.
Aus dieser Perspektive erscheinen die Anstrengungen, europäische Grenzen gegenüber westafrikanischen Migranten zu sichern bzw. deren Wanderungen im Sinne nationalstaatlicher Interessen steuern zu wollen, nahezu absurd.
Fazit
Die Mobilität westafrikanischer Gesellschaften weist vielfältige Muster auf, die heute eine hohe Dynamik zeigen. Fortschritte in Kommunikationstechnologie und Transportwesen beschleunigen und erleichtern die Mobilität sowie die Aufrechterhaltung grenzüberschreitender Beziehungen. Angesichts einer jungen und mobilen Gesellschaft und eines hohen Bevölkerungswachstums, werden die Wanderungen innerhalb Westafrikas und in Richtung anderer Kontinente weiter zunehmen.
Trotz eines generellen Anstiegs der westafrikanischen Migration in die EU kann von einem „Massenansturm“ auf die Festung Europa nicht die Rede sein. Dennoch scheint die europäische Union eben jener Vorstellung in Bezug auf ihre afrikaspezifische Migrationspolitik zu folgen. Das EU-Konzept der gesteuerten Migration führte jedoch nicht zur Eindämmung der Zuwanderung, sondern vielmehr zu einer generellen Illegalisierung westafrikanischer Migranten und daraus folgend zu einem verstärkten Sicherheitsbedürfnis in der europäischen Öffentlichkeit gegenüber jeglicher Form der Zuwanderung.
Diese Sichtweise steht im Widerspruch zur gleichzeitigen Betonung der Rolle der Migranten, die durch ihre Rücküberweisungen als Agenten der Entwicklung in ihren Heimatländern fungieren sollen. Impliziert dies eigentlich die Anerkennung und Förderung von Migration auch in Westafrika, so dominieren innerhalb der entwicklungspolitischen Debatte nach wie vor auf Sesshaftigkeit bezogene Ansätze, die der Idee von Mobilität als Entwicklungspotential entgegenstehen. Wanderungen werden hier zuvorderst als Reaktion auf Probleme und Abweichung von der Norm angesehen, als Bedrohung, die es zu bekämpfen gilt (vgl. Verne und Doevenspeck 2012).
Dass westafrikanische Mobilität nicht darauf reduziert werden darf, ergibt sich aus der differenzierten kulturellen, historischen und gesellschaftlichen Verankerung westafrikanischer Migration, die durch Netzwerke und translokale Gemeinschaften aufrechterhalten wird.
VON CLEMENS ROMANKIEWICZ UND ANGELO GILLES, 2019
Clemens Romankiewicz ist Humangeograph und forscht u.a. zu westafrikanischer Migration im Kontext von Klimawandel und Umweltveränderungen.
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