Westafrika im politischen Wandel - neue Chancen für die Menschen?

 

27.03.2024 Mehrere Putsche der Militärs in verschiedenen westafrikanischen Staaten, insbesondere in der Sahelzone, bestimmen seit mehreren Monaten die Berichterstattung in den deutschen Medien. Mit den Putschen wurden besonders enge Verbündete Frankreichs und „des Westens“ aus den Ämtern vertrieben und westliche Militärpräsenz fast vollständig des Landes verwiesen.

Nun haben auch die Senegales:innen, allerdings auf demokratischem Weg, einen anti-französischen Akzent gesetzt, indem sie einen Kandidaten der eher linken "Patrioten des Senegal für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit", PASTEF, (der als unabhängiger Kandidat antreten musste), zum neuen Präsiddenten des Senegal kürten.

Sicherheit, Gerechtigkeit und Demokratie müssen neu erkämpft werden

Die Gesamtsituation im westafrikanischen Raum lässt sich keinesfalls einheitlich betrachten.  Zu vielfältig sind die Vorgeschichte der Länder und die Lösungsansätze und Interessen der handelnden Akteure. Als Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt sind wir in drei westafrikanischen Staaten aktiv: Burkina Faso, Togo und Senegal. Während Burkina Faso in den letzten zwei Jahren gleich zwei Putsche des Militärs erlebt hat, regiert in Togo die Familiendiktatur der Gnassingbé unangefochten seit Jahrzehnten weiter. Im Senegal - lange Jahre das demokratische Aushängeschild Westafrikas - hat Präsident Macky Sall zwar auf eine verfassungswidrige dritte Kandidatur verzichtet, allerdings wurde vor der Wahl gezielt versucht, die Opposition auszuschalten. So wurde der Hoffnungsträger der Jugend, Ousmane Sonkho inhaftiert und von der Wahl ausgeschlossen. Nun hat allerdings sein Parteikollege Bassirou Diomaye Faye, angetreten als unabhängiger Kandidat, die Wahlen gewonnen. 

Wir haben mit vielen unserer Partner:innen über die Situation gesprochen und versucht, so zu einem eigenständigen Bild der Situation vor Ort zu kommen.


Warum setzen große Teile der Bevölkerung Westafrikas Hoffnungen in die Militärregierungen?

Bei aller Unterschiedlichkeit besteht in großen Kreisen der Bevölkerung die Ansicht, dass die Militärputsche notwendig waren, um ein dysfunktionales System zu beseitigen. Die gestürzten Regierungen in Mali, Burkina Faso oder im Niger und anderswo haben, obwohl demokratisch gewählt, nicht im Interesse der einheimischen Bevölkerung gehandelt. Im Angesicht der globalen Krisen der letzten Jahre konnten die Regierungen der Bevölkerung keine Sicherheit vermitteln. Im Gegenteil, waren sie durch korrupte und intransparente Praktiken selber Teil des Problems. Armut und Nahrungsmittelunsicherheit nahmen zu und auch das Problem der Bedrohung durch islamistische Gruppen konnte trotz internationaler Militärunterstützung - besonders die Truppen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreichs sind hier zu nennen, aber auch die Bundeswehr war in Mali sehr engagiert -  nicht bewältigt werden. Inzwischen hat sich der Aktionsradius dieser Al Qaida und dem IS nahestehenden Gruppen sogar schon vom Norden Burkina Fasos aus in den Süden des Landes und über die Grenze nach Togo verlagert, wo es schon mehrere Anschläge gab.

Die Putsche sind zunächst ein Zeichen des Umbruchs in der Region, die zeigen, dass grundsätzliche Veränderungen möglich sind. So wie es sich in den krisenbesetzten letzten Jahren zugespitzt hatte, konnte es nicht weitergehen. Diese grundsätzliche Veränderungsstimmung könnte andererseits auch die demokratische Opposition gegen das seit Jahrzehnten vom Westen unterstützte Familienregime der Gnassingbé in Togo stärken, wie unsere Projektpartner:innen betonen. Ob die eingeleiteten Veränderungen dann tatsächlich positiv sind, wird die Entwicklung zeigen. In Burkina Faso ist die anfängliche Zustimmung zum Putsch bereits am Kippen.


Neues Wissen, neues Selbstbewusstsein

Die sozialen Medien bringen Zugang zu Informationen, die zuvor nicht zugänglich waren, und erlauben der Zivilgesellschaft sich für Proteste zu organisieren. Die Versuche, Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, die Repression, die Missachtung grundlegender Menschenrechte, die überregionalen und globalen Verflechtungen zu vertuschen oder totzuschweigen, funktionieren nicht mehr. Und zuletzt: Das Monopol der ehemaligen europäischen Kolonialstaaten und der USA, die Bedingungen der weiteren Entwicklung zu diktieren, wird gerade in Frage gestellt. Mit China, Russland, der Türkei, Indien und einigen arabischen Staaten sind inzwischen weitere Akteure in der Region aktiv, die sich als „Alternative zum Westen“ anbieten. Für die Afrikaner:innen liegt darin die Chance, im besten Fall günstigere Bedingungen für die eigene Entwicklung auszuhandeln. Die Forderungen des „Westens“, zu den alten formaldemokratischen Institutionen zurückzukehren und die Kritik an einer Zusammenarbeit mit China oder Russland, wird eher verstanden als Wahrung der postkolonialen Machtansprüche und Sicherung des Zugangs zu den Ressourcen der Region. Die Unterstützung nicht-demokratischer Regime der Region, wie im Tschad, in Gabun oder in Togo, macht die Glaubwürdigkeit westlicher Demokratieforderungen nicht gerade größer.


Meinungsvielfalt bewahren, Demokratisierung von unten durchsetzen

Die Sympathien mit der Absetzung der alten, westlich orientierten Eliten sind aber nicht gleichbedeutend mit der Befürwortung eines autoritären Regimes. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Westafrika möchte in einer demokratischen und gerechten Gesellschaft leben. Die neuen Militärregime werden nur bedingt als Übergangsphase akzeptiert, die Gefahr einer Verstetigung autoritärer Macht ist unseren Partner:innen besonders in Burkina Faso sehr bewusst. Was die zeitliche und politische Bedeutung dieser Übergangsphase angeht, gibt es auch unter unseren Partner:innen unterschiedliche Einschätzungen. Offene Kritik hat unter der Militärregierung von Ibrahim Traore nun zu einer starken Repression gegen die demokratischen Kräfte der Zivilgesellschaft in Burkina Faso geführt. Auch ASW- Partner:innen sind davon betroffen und setzen sich zur Wehr.

Diese Demokratisierungsprozesse von unten sehen wir auch im Senegal. Eine starke Oppositionsbewegung, die die über viele Jahre erkämpfte demokratische Kultur in Gefahr sieht, organisiert sich und ist durchaus in der Lage, Erfolge zu erzielen. So hat Präsident Macky Sall eine dritte, nicht-verfassungskonforme  Amtszeit  auch aufgrund des Druckes der Zivilgesellschaft ausgeschlossen. In Togo ist die demokratische Opposition in einer Phase der Neustrukturierung, nachdem die Zivilgesellschaft durch die Repression des Gnassingbé-Regimes stark geschwächt wurde.


Die Rolle der Jugend im Zukunftsprozess

Die Jugendlichen spielen in Westafrika eine zunehmend wichtige Rolle, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass nahezu 60 % der Bevölkerung unter 25 Jahre alt ist. In Burkina Faso und im Senegal waren es besonders die organisierten Jugendlichen - auch aus dem Umfeld der ASW-Partner - die an den Protesten gegen die alten Machthaber Abdoulaye Wade (Senegal, 2012) und den Langzeitpräsidenten Blaise Compaoré (Burkina Faso, 2014) wesentlich beteiligt waren und so zu einem demokratischen Wandel beitrugen.

Die Hoffnungen auf ein besseres Leben, auf eine Regierung, die die Interessen der Bevölkerung vertritt und ökonomische Perspektiven besonders für die junge Generation schafft, haben sich in beiden Fällen nicht erfüllt. Auch die togolesische Jugend steckt in den Kämpfen gegen die autoritäre Regierung und für eine gerechtere Perspektive fest. Es scheint, dass die Frustration über diese gescheiterten demokratischen Aufbrüche auch den grundsätzlichen Glauben an das westlich geprägte Demokratieverständnis in Frage gestellt hat.

Die jungen Menschen sehen, wie die Reichtümer ihres Landes weiterhin außer Landes gebracht werden, sich kleine Eliten und internationale Konzerne bereichern, während es für die breite Masse der Bevölkerung kaum eine Perspektive gibt. Sie bekommen auch mit, wie in Europa mit Geflüchteten aus Westafrika umgegangen wird und viele haben Familienangehörige oder Freunde, die auf dem Weg nach Europa umgekommen sind oder in Lagern interniert werden. Aus all diesen Erfahrungen erschienen für einige sogar die Militärputsche, einhergehend mit der Vertreibung der korrupten Elite und der Beendigung westlicher, insbesondere französischer Bevormundung, zunächst die bessere Alternative zu sein.


Die Frauen im Demokratisierungsprozess

Die Frauen in Westafrika sind weiterhin stark unterrepräsentiert, was die Beteiligung an demokratischen Prozessen anbelangt. Insofern gilt es die Partizipation von Frauen von unten- also in den Dörfern - aber auch auf überregionaler Ebene zu stärken. Der Ausschluss der Hälfte der Bevölkerung vom politischen Prozess widerspricht jedem Demokratieverständnis.

Wichtig für den Transformationsprozess ist aber auch den Frauen mit ihren eigenen Kompetenzen und Verantwortungen, mit ihren Vorstellungen vom Aufbau politischer Gemeinschaften einen stärkeren Platz zu geben - auch um die ständige Widerkehr von festgefahrenen patriarchalen, teilweise korrupten oder zumindest klientelistischen Strukturen durch die männlichen Führungskader zu durchbrechen.


Forderungen und Wünsche an Europa

Aus unseren Interviews mit verschiedenen ASW- Projektpartner:innen zeigen sich einige klare Forderungen an die Regierungen und die Menschen in Europa. Deutlich wird der Wunsch, als gleichberechtigt anerkannt zu werden. Das beinhaltet eine ehrliche Auseinandersetzung mit den historisch durch Sklaverei, Kolonialismus und postkoloniale Ordnung entstandenen Ungerechtigkeiten und Abhängigkeitsverhältnissen. Das beinhaltet auch die Reflexion darüber, dass die fortgesetzte Ausbeutung des afrikanischen Kontinents und seiner Menschen dazu beigetragen haben, dass wir in Europa heute ein Leben in Reichtum und Sicherheit leben können.

Auf politischer Ebene heißt das, eine Auseinandersetzung über die eigene Kolonialzeit aktiv aufzugreifen. Bis heute fehlen Schuldbekenntnisse auf politischer Ebene aus Angst für die Verbrechen der Vergangenheit zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Frage nach Reparationszahlungen - auch in Bezug auf die Folgen der von den Industriestaaten verursachten Klimakrise - oder nach der vollständigen und bedingungslosen Rückgabe von kolonialem Diebesgut sind dabei die materielle Ebene eines sich von kolonialen Abhängigkeiten loslösenden Prozesses. Eine gleichberechtigte und gerechte (dekoloniale) Neuaufstellung, heißt aber auch, die postkolonialen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen neu zu definieren. Hier geht es nicht nur um faire Preise für Ressourcenabbau aus den afrikanischen Ländern und die Einhaltung von Menschenrechten in den Lieferketten. Es geht auch darum, in den Ländern Westafrikas eigene Wertschöpfungsketten aufzubauen, die dann Perspektiven für Einkommen und besseres Leben gerade der jungen Generation absichern können.

Die Menschen in Afrika wünschen sich auch, dass sie in ihren Kämpfen um demokratische Verhältnisse solidarisch unterstützt werden. Sie möchten aber ihren Weg dahin gehen und nicht aus Europa bevormundet werden. Das bedeutet auch, dass die Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten auch dort einheitlich gelten müssen, wo der Westen von autoritären Regimen wirtschaftlich und geopolitisch profitiert. Die Zeit des Beschweigens und der Doppelmoral ist vorbei, es geht nun um Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit als Basis für eine gute Nachbarschaft zwischen Westafrika und Europa. In gegenseitigem Respekt, in Frieden und der Entwicklung eines guten Lebens für alle.

Boubacar Diop, Jenny Ouedraogo und Tobias Zollenkopf 

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