Frauenrechte in Simbabwe

Wieder mehr Ungleichheit seit Corona. Ein Interview *

 

FRAGE: Könnten Sie kurz die Entwicklung in Ihrem Land in den letzten 10 bis 20 Jahren in Bezug auf die Rechte der Frauen skizzieren?

Schon vor dem Ausbruch von COVID-19 zeigten statistische Daten, dass Frauen in Bezug auf Bildung, Zugang zu Ressourcen, beim Lohn, bei Entscheidungsbefugnissen sowie bei der Durchsetzung ihrer menschlichen, sexuellen und reproduktiven Rechte benachteiligt sind. Der Ausbruch der COVID-19- Pandemie hat die bestehenden großen geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in Simbabwe weiter verschärft. Außerdem hat er zu einem Anstieg der geschlechtsspezifischen Gewalt geführt. Seit Beginn der Lockdowns am 30. März 2020 bis Ende Dezember 2020 verzeichnete die nationale Hotline für geschlechtsspezifische Gewalt (Musasa) im Vergleich zu den Trends in der Zeit davor einen durchschnittlichen Anstieg von über 40 Prozent.

Die Frauen in den ländlichen Gebieten Simbabwes leiden außerdem unter dem Fortbestehen schädlicher Praktiken wie der Kinderehe. In einigen Regionen haben auch Jungfräulichkeitstests durch ältere Frauen überlebt.

Seit einem Urteil des simbabwischen Verfassungsgerichtes von 2016 ist die Verheiratung Minderjähriger nicht mehr zulässig (zuvor war eine Ehe ab 16 rechtens) und 18 Jahre gelten seither als gesetzliches Mindestalter für die Eheschließung. Dennoch sind laut einem im August 2021 von der Nationalen Statistikagentur Simbabwes (Zimstat) veröffentlichten Bericht 33,7 % der Mädchen unter 18 verheiratet und 5% aller Mädchen unter 15 werden pro Jahr verheiratet.

Es wird vermutet, dass religiöse Gruppen wie bestimmte apostolische Sekten, die Polygamie und die Verheiratung junger Mädchen fördern, diese Praxis verstärken. In der Mehrheitsgesellschaft arrangieren Eltern oft Kinderehen für junge Mädchen, um von besser gestellten Familien Roora oder Lobola (Brautpreis und materielle Vorteile) zu erhalten. In gewisser Weise wird die eigene Tochter damit als wirtschaftliche Ressource betrachtet, deren Tauschwert als Brautpreis getarnt ist.

In den meisten Fällen arrangieren die Eltern oder Erziehungsberechtigten die Kinderehe und nehmen damit ihrer Tochter das Recht auf Bildung, Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit. Kinderbräute brechen oft die Schule ab, um zu heiraten und werden dann viel zu früh schwanger, mit den entsprechenden Geburtskomplikationen. Ohne Bildung können sich die jungen Frauen in der Gesellschaft nicht behaupten und finden keine formale Beschäftigung. Folglich schränkt Kinderheirat auch die erwachsene Frau in der Wahrnehmung ihrer Rechte ein und erhöht ihr Risiko von Armut.

Wie steht es um die Partizipation von Frauen?

Auch die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen ist in Simbabwe immer noch sehr gering. Simbabwes Regierungsstrukturen auf allen Ebenen, von den Dorfgremien bis zum Parlament und dem Kabinett, werden von Männern dominiert. Dabei sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung (52%) Frauen. Die simbabwischen Frauen haben sich aktiv für ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter in Führungspositionen eingesetzt und konnten durch Lobbyarbeit erreichen, dass Bestimmungen zur Gleichstellung der Geschlechter in die Verfassung von 2013 aufgenommen wurden (Abschnitte 17 und 56). Die Wahlbeteiligung von Frauen ist hoch, aber nach wie vor sind sie in parteipolitischen Ämtern, im Parlament, im Kabinett und sogar in der neuen Regierung in der Minderheit.

Welche Entwicklungen hat es im Bereich der Schulbildung von Mädchen und Frauen sowie der höheren Bildung gegeben?

Als Simbabwe 1980 seine Unabhängigkeit erlangte, demokratisierte die Regierung unter der Führung des verstorbenen Präsidenten Robert G. Mugabe das Bildungswesen, indem sie eine kostenlose und obligatorische Grund- und Sekundarschulbildung für alle versprach. Dies führte zu einer Verfassungsänderung, mit der die Erklärung des ehemaligen Präsidenten anerkannt wurde, die besagte, dass „alle Kinder das Recht auf Bildung haben“. Diese Gesetzgebung ebnete den Weg für Gleichheit und Gleichberechtigung zwischen Mädchen und Jungen, Frauen und Männern und führte auch zur Erhöhung der Einschulungszahlen, des Angebots an ausgebildeten Arbeitskräften und der Alphabetisierungsrate des Landes.

Unter dem Druck wirtschaftlicher Probleme und eines 1990 mit dem IWF vereinbarten Strukturanpassungsprogramms (ESAP) änderte sich das. Die Wirtschaft wurde liberalisiert, lokale Industrieunternehmen erlagen der ausländischen Konkurrenz und viele Arbeitsplätze gingen verloren. Für die Primar- und Sekundarstufe wurden Gebühren eingeführt. Damit war der Grundsatz der kostenlosen und verpflichtenden Schulbildung obsolet. Weil Armut und Arbeitslosigkeit (bis zu 90 Prozent) weiter zunahmen, haben viele Eltern Schwierigkeiten, das Schulgeld für ihre Kinder aufzubringen. Heute brechen viele Kinder die Schule ab, wobei Mädchen in der Mehrzahl sind.


Ist das Verhältnis von Jungen und Mädchen in der Grundschule noch ausgeglichen, so gehen in die weiterführende Schule nur noch halb so viele Mädchen wie Jungen. Aufgrund der Armut in den Familien entscheiden sich viele Eltern dafür, die Jungen weiter auszubilden, während die Mädchen zu Hause bleiben, um dann verheiratet zu werden. Allerdings haben wir bei unseren wöchentlichen Clubtreffen auch erfahren, dass der Wunsch und die Bereitschaft der Mädchen, nach der Schule eine berufliche Laufbahn einzuschlagen und sich weiterzubilden, gestiegen ist.

Bei der Universitätsbildung von Frauen schnitt Simbabwe zuletzt nicht schlecht ab. Laut Bildungsstatistiken aus dem Jahr 2018 waren in Simbabwe 50.699 weibliche und 43.432 männliche Studierende an Hochschulen eingeschrieben. Insgesamt sind mehr weibliche Studierende immatrikuliert, insbesondere an Universitäten, die auf Kunst, Pädagogik und Sozialwissenschaften spezialisiert sind. An Universitäten, die eine besondere Ausbildung in Wissenschaft und Technik anbieten, sind die männlichen Studierenden jedoch in der Überzahl. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahl der Studienanfänger jedoch verringert, da die Bevölkerung des Landes weiterhin unter Armut leidet. Das Ergebnis ist, dass der Bildungsstand von Frauen, insbesondere von Mädchen, in Simbabwe sinkt.


Wie steht es um die Teilhabe und Selbstbestimmung der Frauen insbesondere auf dem Land?

Die meisten Frauen auf dem Land sind weniger gebildet als ihre Altersgenossinnen in den Städten, und das hat dazu geführt, dass sie in den meisten Bereichen ihres Lebens nur begrenzte Möglichkeiten haben. Der Trend zu weniger gebildeten Frauen in den ländlichen Gemeinden Simbabwes setzt sich auch bei den jüngeren Generationen fort, denn es gibt viele Schulabbrecherinnen und Teenagerschwangerschaften. Die staatlichen Stellen, die den Frauen helfen könnten, sind in den Städten angesiedelt, so dass die Landfrauen zu kurz kommen. Daher müssen die Frauen auf dem Lande generell mit dem notwendigen Wissen ausgestattet werden, damit sie ihr Potenzial ausschöpfen können. Die Ausbildung von Frauen und Mädchen stärkt nicht nur deren Selbstbewusstsein, sondern verbessert auch die Lebensqualität der Familie und der Gemeinschaft insgesamt.

 

Was wurde auf dem Gebiet der Gewalt gegen Frauen in Simbabwe erreicht?

Um geschlechtsspezifische Gewalt zu beseitigen, hat das Land mehrfach Strategien zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter umgesetzt. Simbab - we ratifizierte 1991 das Übereinkommen zur Besei - tigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), 2007 das Protokoll zur Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker über die Rechte der Frauen in Afrika und 2009 das SADC-Protokoll über Gender und Entwicklung. Diese Instrumente fordern die Mitgliedsländer auf, Strategien zur Beseitigung von geschlechtsspezifischer Gewalt umzusetzen, die in den meisten afrikanischen Gemeinschaften zu einer sozialen Krankheit geworden ist und die eine nachhaltige Entwicklung behindert.

Einer der wichtigsten Meilensteine im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Simbabwe war die Verabschiedung des Gesetzes gegen häusliche Gewalt im Jahr 2007 und die anschließende Einrichtung des Rates zur Bekämpfung häuslicher Gewalt (Anti-Domestic Violence Council). Ergänzend zu den Bemühungen der Regierung arbeiten eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen daran, das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Gewalt zu schärfen und den Betroffenen Dienstleistungen anzubieten. Aufgrund der begrenzten Ressourcen und der mangelnden Koordinierung zwischen den verschiedenen Akteuren reicht die Unterstützung für die Betroffenen oft nicht aus.

Wie sieht es mit der Vererbung und dem Landbesitz von Frauen in Ihrem Land aus?

Kulturell bedingt werden Frauen immer wieder daran gehindert, über Themen wie das Erbe zu diskutieren. Studien belegen, dass verwitwete Frauen, deren Ehemänner Vermögen besaßen, 40% des Vermögens erben und die Familie des Ehemannes 55% des Vermögens behält, bei polygamen Beziehungen erben die anderen Ehefrauen 2% und die Großfamilie 3%. Die meisten Frauen fechten die Enteignung vor Gericht nicht an, weil sie die Gesetze zum Schutz ihrer Rechte nicht kennen, wodurch sie und ihre Kinder der Armut ausgesetzt sind. Es gibt nur eine sehr begrenzte Anzahl von Frauen, die als Landbesitzerinnen registriert sind, und die meisten von ihnen leben in städtischen Gebieten.

Was bedeutet die auch in Simbabwe zunehmende Arbeitsmigration von Männern für die Stellung der Frauen?

Aufgrund des gestiegenen Armutsrisikos gehen tatsächliche viele Männer auf der Suche nach Arbeit in städtische Gebiete und in die umliegenden Nachbarländer wie Südafrika, Namibia, Botswana und Sambia. Die zurückbleibenden Frauen tragen dann die Verantwortung für die Familie und die Last der Nahrungsmittelproduktion. Gleichzeitig bleibt aber ihr Zugang zu Land, zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und ihre Macht in Entscheidungsprozessen beschränkt.
 

Die HIV/AIDS-Pandemie wiederum hat die Armut der Frauen verschärft. Im Falle einer Ansteckung werden Frauen stigmatisiert und ihrer Rechte beraubt, was ihre soziale und wirtschaftliche Verwundbarkeit erhöht. Hinzu kommt, dass Frauen von der Krankheit betroffene Familienmitglieder pflegen müssen, wodurch ihr Arbeitspensum ansteigt.

Was haben denn NGO und Netzwerke für Simbabwes Frauen geleistet?

Viele nichtstaatliche Organisationen und Vereinigungen haben sinnvolle und erfolgreiche Projekte durchgeführt, wobei es sich zumeist um humanitäre Hilfe handelt, die der benachteiligten Bevölkerung bei der Bewältigung von Hunger und anderen Krisen, vor allem in den ländlichen Gebieten Simbabwes, geholfen hat.

Es gab auch einige prominente Menschenrechtsorganisationen, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Simbabwer:innen über ihre Bürgerrechte informiert und mit dem Wissen ausgestattet werden, diese Rechte verteidigen zu können. Die meisten Projekte, die von diesen Organisationen durchgeführt wurden, brachten wesentliche Erfolge. Aufgrund der politischen Lage im Land haben sich die meisten dieser Organisationen jedoch selbst beschränkt, um sich nicht in die Entwicklungsangelegenheiten des Landes einzumischen. Aus diesem Grund besteht nach wie vor ein enormer Bedarf an weiteren Projekten und Aktivitäten, die sich darauf konzentrieren, den Zugang von Frauen und Mädchen zu Bildung in ländlichen Gebieten zu verbessern und sie mit nützlichen Kenntnissen und Fähigkeiten auszustatten.

Inwieweit haben staatliche Programme hier ebenfalls geholfen?

Auch die Regierungsstellen haben sich intensiv um die Verbesserung der Stellung von Frauen und Mädchen bemüht, sowohl was die Bildung als auch die Beteiligung an wichtigen Entscheidungspositionen betrifft. Simbabwe ist ein Land, das erkannt hat, dass eine nachhaltige Entwicklung und eine gute Regierungsführung nur dann möglich sind, wenn die Gleichstellung der Geschlechter und die Gleichberechtigung gegeben sind. Es bleibt noch viel zu tun.

Das Interview führte die Themen-AG der ASW im November 2022

* Aufgrund der aktuellen Lage in Simbabwe möchten wir die/den Befragte/n nicht namentlich nennen.