EU und Migration: Europa schafft die Menschenrechte ab

 

Europa schottet sich ab – Europa wandert politisch immer weiter nach rechts. Zwischen beiden Entwicklungen besteht ein enger Zusammenhang und beide Prozesse schreiten stetig voran. Höchste Zeit aufzuwachen und gemeinsam für Solidarität und Menschenrechte zu kämpfen! Für ein Europa der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit!

22.07.2023 Die Ausverlagerung des europäischen Grenzregimes nach Nordafrika und den Nahen Osten wird immer weiter vorangetrieben. Kürzlich war die deutsche Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen in Begleitung des ehemaligen rechtsliberalen niederländischen Ministerpräsidenten Rutte und der neofaschistischen italienischen Ministerpräsidentin Meloni in Tunesien, um mit dem dort autoritär regierenden Präsidenten Saied ein millionenschweres Flüchtlingsabkommen zu schließen. Wichtigstes politisches Ziel des 900 Millionen Euro-Deals ist es, die Überfahrten von Migrant:innen von Tunesien aus zu unterbinden und die Rück- und Abschiebungen zu vereinfachen.

Die Unterzeichnung des Abkommens findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem sich die Situation der afrikanischen Migranten aus Subsahara-Afrika in Tunesien (21.000 laut dem tunesischen Statistikinstitut) verschlechtert. Sie sind häufig Opfer von fremdenfeindlichen Handlungen und Diskriminierung durch die Sicherheitskräfte und die Bevölkerung. Kürzlich wurden Hunderte Menschen ohne Nahrung und Wasser von der Regierung in der Wüste abgesetzt. Die Regierungen von Guinea Conakry, Mali und der Elfenbeinküste mussten im Juni einen Großteil ihrer in Tunesien lebenden Landsleute zurückbringen.

Abschreckung ohne Grenzen

Tunesien steht damit in einer Kette von Aktionen der EU, das „Migrationsproblem“ durch Ausverlagerung der Grenzregimes unter Missachtung von menschen- und völkerrechtlichen Verpflichtungen zu lösen. Der Deal mit Erdogans Türkei 2016  ist wohl am Bekanntesten, aber auch Marokko erfüllt eine wichtige Aufgabe als Gatekeeper Europas. Die Festsetzung von Geflüchteten in Internierungslagern in Libyen, in denen diese systematisch gefoltert und vergewaltigt werden, ist ebenso Teil dieses Abschreckungssystems wie die Unterbindung der Bewegungsfreiheit von Menschen in Sahelstaaten wie Niger und Burkina Faso, die eigentlich durch die westafrikanische ECOWAS ähnlich wie in der EU garantiert ist. Um das Bild dieser menschenfeindlichen Politik abzurunden: Illegale Pushbacks, Grenzzäune und gewalttätige Übergriffe gegen Migrant:innen, unterlassene Hilfeleistungen und die Kriminalisierung der Seenotrettung sind ein weiteres Gesicht des heutigen Europas. Mit der Erschießung von Geflüchteten am Grenzzaun von Melilla in Marokko und dem aktuellen Skandal um das vermutlich aktiv versenkte Geflüchtetenboot vor Griechenland, ist auch die aktive Liquidierung zum Mittel der europäischen Flüchtlingsabwehr geworden. Jenes Europa, das vorgibt sich für Demokratie und Menschenrechte weltweit einzusetzen.

Die Menschlichkeit zurückgewinnen

Das nun rechte, rassistische Strömungen die Oberhand in der Flüchtlingspolitik gewonnen haben, ist Resultat einer seit vielen Jahren geführten Desinformation, Angstmacherei und Hetze. Diese fußt nicht nur in rechtsradikalen Gruppen, sondern ist ebenso Folge der Politik der eurozentristisch-neoliberalen Parteien der Mitte. Daher überrascht es wenig, dass auch die Ampelkoalition den verschärften europäischen Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems GEAS unter Beibehaltung des völlig gescheiterten Dublin-Abkommens zugestimmt hat. Befremdlich sind die Versuche von Außenministerin Baerbock und Innenministerin Faeser, die nun geplanten Lager zur konzentrierten Internierung von Geflüchteten außerhalb der EU-Grenzen als humanitären Erfolg zu verkaufen.

Menschlichkeit beginnt damit, dass Menschen im Vordergrund stehen. Im Falle der Migrationskrise die Motive und Gründe der einzelnen Menschen für Migration, Flucht oder Vertreibung zu ergründen, um diese zu verstehen. Verständnis ist der wichtigste Faktor zur Findung von humanitären Lösungen und um die Desinformation und Hetze der Eurozentriker:innen und Rechtsradikalen zu durchbrechen. Der Versuch Europas das persönliche Schicksal und das individuelle Asylrecht aufzulösen und abstrakte Gruppen von Migrant:innen („Kontingente“) zu schaffen ist der psychologische Nährboden für die Entmenschlichung des politischen Handelns, mit der zuvor beschriebenen Eskalation der Gewalt.

Wer sich mit den Menschen auf der Flucht weltweit beschäftigt findet viele Bezugspunkte zu sich selbst und zur Geschichte Europas. Es eröffnet einen Blick in eine andere Welt, die uns hier allzu häufig völlig falsch dargestellt wird. Bei den Menschen auf der Flucht handelt es sich eben nicht um potentielle Kriminelle, die nichts anderes im Sinne haben, als die Festung Europa zu stürmen. Es sind Menschen die an Frieden, Demokratie, Freiheit und an ein gutes Leben für alle auf unserem Planeten glauben. Sie sind bereit, für diese Träume und das Überleben ihrer Familien vieles oder alles zu riskieren.

Einladung zum Nachdenken, Diskutieren, Handeln

In der Geschichte der ASW wurde der Begriff der „Weltnachbarschaft“ begründet. Wie der Name schon sagt, geht diese Idee davon aus, dass wir alle nähere und fernere Nachbar:innen auf unserem Planeten sind. Wer seine Nachbarschaft pauschal diskriminiert und grundlegende Rechte ignoriert und menschlichen Anstand vermissen lässt, wer seinen Nachbarn die Ressourcen klaut und Versprechungen bricht oder bewaffnet das Wohnzimmer nebenan stürmt, ist kein guter Nachbar. Wie können wir also zu einer Weltnachbarschaft kommen, in der Solidarität und Gemeinschaft vor Eigennutz, Ignoranz und Ausgrenzung stehen?

Wir laden alle ein, aktiv zu werden, sich zu informieren, zu diskutieren und im Sinne einer positiven Weltnachbarschaft zu handeln. Es lohnt sich, für die Rechte aller Menschen gemeinsam mit den Menschen aus dem Süden zu kämpfen! Rassismus und Faschismus in Europa jetzt stoppen!

Boubacar Diop und Tobias Zollenkopf

Unsere Broschüre „Recht auf Gehen, Recht auf Bleiben“ gibt vielfältige Hintergründe über weltweite Migrationsprozesse.

Sehr spannend ist auch das Buch von Olaf Bernau „Fluchtursachen Westafrika“. Eine Aufzeichnung seiner Buchvorstellung finden Sie hier:

Weltnachbarschaft leben - Als ASW-Fördermitglied wirst du Teil unserer  Gemeinschaft mit unseren internationalen Partnerprojekten und Partner-Netzwerken.