Indien: Die Geschichte der NGO-Mitarbeiterin Ramavat Valli


Ramavat Valli lebt im Dorf Danji lal Thanda im südindischen Bundesstaat Telangana und gehört der stark marginalisierten indigenen Gemeinschaft der Lambadi an. Sie wurde bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet, hatte aber die Chance, nach der Grundschule eine weiterführende Schule zu besuchen und abzuschließen. Heute arbeitet sie in Teilzeit bei einer NRO, mobilisiert dort alleinstehende Frauen der Gegend und setzt sich u.a. für eine bessere Kinderernährung ein. Mit einem Verdienst von 90 Euro (7.200 Rupien) im Monat ist sie die Hauptverdienerin in der Familie. Durch ihre Arbeit ist sie motiviert, sich weiterzubilden, und absolviert derzeit einen Fernkurs, um ihren Bachelor-Abschluss zu machen.  

Ihr Mann Ramavath Raju war viele Jahre lang arbeitslos, arbeitete gelegentlich auf dem Bauernhof seines Vaters, aber seit 6 Monaten hat er eine Teilzeitbeschäftigung. Als „Bank Mitra“, was Freund der Bank bedeutet, zahlt er nach Fingerabdruck-Authentifizierung bestimmte Fördergelder in seinem Dorf aus. Er verdient – als Prozentsatz der Transaktionen – etwa 25-37 Euro (Rs 2000 bis Rs 3000) pro Monat.
 

Bildung der Töchter wird großgeschrieben

Ramavat Valli hat zwei Töchter und sowohl sie wie auch ihr Mann sind sehr an der Ausbildung ihrer Töchter interessiert. Die 12jährige Sonia konnten sie in einer staatlichen Schule mit Sozialwohnheim kostenlos unterbringen. Die jüngere Alekhya, die 10 Jahre alt ist, besucht eine Privatschule, die sich die Eltern eigentlich nicht leisten können. Daher bemühen sie sich auch hier um den Wechsel zu einem staatlich geförderten Heim.

Weil Ramavat Valli ihre Töchter per Kaiserschnitt zur Welt bringen musste, hat die Familie beschlossen, trotz des Wunsches nach einem Sohn keine weitere Schwangerschaft mehr zu riskieren und eine Sterilisation vorzunehmen.


Besitzerin von 400 Quadratmetern Land

Ramavat Valli besitzt ein Zehntel Acre Land (405 Quadratmeter), das sie von einem Familienmitglied geerbt hat. Die Regierung des Bundesstaates gewährt eine gewisse Unterstützung für die Landwirtschaft, so dass sie jährlich 4.000 Rupien (48 Euro) erhält, die sie frei verwenden kann.
Ihr Schwiegervater hatte vor vielen Jahren einen Acre Land (0,4 Hektar) vom Verdienst als Saisonarbeiter gekauft. Es handelt sich um trockenes Land, auf dem nur bei Regen Getreide wächst. Früher baute die Familie mindestens 2 Sorten Hirse, etwas Gemüse und einige Ölsaaten an. Derzeit sind sie dazu übergegangen, entweder Reis zu ziehen, wenn die Niederschläge gut sind, oder Baumwolle. Die Familie hat kein Land verkauft, weil sie es für wertvoll hält.
Es gibt keine Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft, aber es wurden Trinkwasserleitungen im Dorf verlegt und der Zugang zu Wasser für den Haushalt wurde verbessert.


Die Familienarbeit ist Frauensache

Ramavat Valli erledigt die gesamte Hausarbeit ohne die Hilfe ihres Mannes. Da ihre beiden Töchter zur Schule gehen, helfen sie nicht bei der Hausarbeit. Früher kochte Ramavat Valli auf einem Holzofen oder mit Kuhfladen, aber jetzt hat die Familie Zugang zu Gas, das in einer Flasche geliefert wird. Während früher das Feuerholz kostenlos von den Hängen gesammelt wurde, kostet das Gas jetzt 1150 Rupien (14 Euro) pro Flasche, die höchstens für ein oder zwei Monate reicht. Während Reis und Gemüse auf Gas gekocht werden, wird Hirsefladenbrot weiterhin auf Holzöfen zubereitet.
 

Ein typischer Tag im Leben von Ramavat Valli

"Ich wache um 6 Uhr morgens auf und putze das Haus, spüle Geschirr, koche für den Tag. Ich muss meinen Mann bedienen. Ich gebe ihm seinen Morgentee, danach bereite ich heißes Wasser für sein Bad, gebe ihm seine Kleidung und sein Frühstück. Danach mache ich mich fertig und gehe zur Arbeit. Manchmal nimmt mich mein Mann mit seinem Motorrad mit, wenn es ihm passt. An anderen Tagen gehe ich an den Straßenrand und nehme öffentliche Verkehrsmittel wie den Bus oder eine Autorikscha.

Obwohl ich mehr zum Familieneinkommen beitrage als mein Mann, gilt er als Oberhaupt des Haushalts. Er hat mehr Bildung als die anderen in der Familie, daher sind seine Entscheidungen und Vorschläge das Gesetz. Obwohl mein Mann sein Studium nicht abgeschlossen hat, gilt er in der Familie als Führungspersönlichkeit.“
 

Familienstreit über die Mitgift

„Früher hat sich mein Mann mit mir und meiner Familie gestritten, weil meine Familie die versprochene Mitgift nicht gezahlt hat. Meine Eltern arbeiteten als Schuldknechte und nahmen einen Vorschuss von einem Vermieter an, um mich zu verheiraten. Danach gab es Probleme, so dass der Vermieter kam und mir das Gold wegnahm, das meine Mutter mir versprochen hatte. Bis heute ist mein Mann wütend und meint, dass die ihm versprochene Mitgift von 1.50.000 Rupien (1.900 Euro) zu wenig war. Er ist jähzornig. Wenn ich ihm widerspreche, wird er sehr wütend.
Zu anderen Zeiten sagt mir mein Mann, dass ich eine starke Frau sein muss, die Buchhaltung lernt, um den Haushalt ordentlich zu führen, falls er stirbt. Ich lerne durch meine Arbeit, stark zu sein".
 

Die männlichen Dorfvorsteher entscheiden oft selbstherrlich

Auch auf Dorfebene gibt es für die Frauen noch viel zu tun. In der Gemeinde von Ramavat Valli werden die Entscheidungen von dem gewählten Dorfvorsteher, dem Sarpanch, und dem Dorfsekretär, einem Regierungsbeamten, getroffen. Eigentlich sind sie verpflichtet, alle Informationen über staatliche Programme an die Gemeinschaft weiterzugeben, Angelegenheiten mit der gesamten Gemeinschaft zu diskutieren und gemeinsam festlegen, welche Personen Zugang zu den Programmen haben sollen. „Dies geschieht jedoch nicht immer, meist entscheidet der  Dorfvorsteher, der Sarpanch, was er will“, beklagt Ramavat Valli.

"Wir sind eine Gesellschaft, in der die Männer alle Entscheidungen treffen. Wenn wir ein Dorffest veranstalten müssen, geht aus jeder Familie ein Mann zur Dorfversammlung. Frauen werden nicht einbezogen.“
 

Das Überleben während der Corona-Beschränkungen

Die Pandemiezeit hat insgesamt viele Probleme für die ländlichen Gemeinden mit sich gebracht.  Ramavat Vallis Töchter konnten nicht zur Schule gehen. Eine verlor sogar ein Jahr und wurde von Klasse 7 in Klasse 6 zurückversetzt.
Mehrere Familien hatten keinen Zugang zu Lebensmitteln. Sie erhielten von ihrer?? NRO Lebensmittelpakete. Die Menschen, die im Rahmen der umgekehrten Migration aus den Städten ins Dorf zurückgekehrt waren, konnten keine Arbeit finden. Sie versuchten, ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Gemüse und anderen Kleinigkeiten zu verdienen. Später stellte die Regierung 6 kg Reis pro Person zur Verfügung, um das Überleben zu sichern.


Ohne Bestechungsgelder kommen die Armen nicht weiter

Aber auch ohne Coronabeschränkungen ist das Überleben in den Dörfern nicht einfach, sagt Ramavat Valli.  „Wir müssen auch Bestechungsgelder zahlen, damit die Ämter ihre Arbeit erledigen.“ Manchmal würden die Beamten auch nach der Annahme von Bestechungsgeldern ihre Versprechen nicht einhalten. Bei einem Antrag auf eine Wohnung z.B. werden oft nicht die Bedürftigsten ausgewählt, sondern die Bessergestellten. Oder es werden diejenigen bevorzugt, die politische Verbindungen haben. „Obwohl wir alle aus der Lambadi-Gemeinschaft stammen, ziehen die Reicheren die Ärmeren über den Tisch“, beklagt R. Valli. „Mein Mann braucht einen Job mit einem anständigen Gehalt. Obwohl er ein Bestechungsgeld gezahlt hat, hat er den versprochenen Job nicht bekommen.“
 

Es geht nur mit Krediten…

Auch Ramavat Valli und den Frauenselbsthilfegruppen fehlt Geld für Investitionen. „Wir brauchen ein höheres Investitionsniveau für unsere einkommensschaffenden Projekte, um einen angemessenen Gewinn zu erzielen. Ich bin Mitglied der dörflichen Selbsthilfegruppe. Ich konnte 75.000 Rupien bei der Bank abheben. Ich habe 55.000 Rupien für die Rückzahlung von Krediten verwendet, den Rest habe ich für meine Haushaltsausgaben verwendet. Jetzt muss ich in den nächsten 28 Monaten 3.000 Rupien pro Monat zurückzahlen. In meiner Gruppe habe ich jeden Monat Rs 100 gespart. Wie die meisten Menschen im Dorf lebe auch ich von rotierenden Krediten unserer Selbsthilfegruppe.“