Indien ist mit 1,451 Milliarden Menschen (Stand 2024) das bevölkerungsreichste Land der Welt und hat China 2023 von der Weltspritze verdrängt. Aktuelle Zahlen zeigen, dass Warnungen vor einer „Bevölkerungsexplosion“ keine Grundlage haben. Denn die Bevölkerung des Subkontinents wächst immer langsamer, mit 2 Kindern pro Frau nähert sich Indien unserem Reproduktionsniveau an.
Zentrale Probleme der indischen Gesellschaft sind die nach wie vor große Armut und die Kastendiskriminierung. Der Welthungerindex von 2023 erklärt die Lage in Indien mit einem Anteil von 16,6 Prozent unterernährten Menschen für ernst. Betroffen sind vor allem marginalisierte Gruppen wie indigene Adivasi, "kastenlose" Dalits und Angehörige der muslimischen Minderheit. Und von diesen Gruppen besonders die Frauen.
Dalits - Das Kastensystem lebt
Frauendiskriminierung und Frauenrechte
Klimawandel und ökologischer Fußabdruck
Einschränkung der Förderung indischer NGOs aus dem Ausland
Die Geburtenrate in Indien lag bereits 2011 (dem Jahr der bislang letzten Volkszählung) bei 2,3 Kindern pro Frau. Aktuell wird sie auf 2 geschätzt und erreicht damit den Wert, der zur Erhaltung der Bevölkerungsgröße nötig ist. In den Städten brachten die Frauen sogar nur 1,8 Kinder zur Welt und näherten sich somit stark europäischen Mustern an. Im südlichen Bundesstaat Kerala mit vergleichsweise guten sozialen Indikatoren und einer Alphabetisierungsrate von 94 Prozent (ganz Indien 75 %) liegt die Geburtenrate bei nur 1,7 Kinder pro Frau. Im armen nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh (nur 64 Prozent Alphabetisierte) dagegen bekommt eine Frau durchschnittlich noch 2,9 Kinder. In rund 30 Jahren, so die Prognosen, wird auch Indien das Problem einer schrumpfenden Bevölkerung haben.
Auf dem ganzen Subkontinent steht einer aufstrebenden, zumeist städtischen Mittelschicht eine große Zahl verarmter Kleinbäuer:innen und städtischer Armer gegenüber. Viele von ihnen wurden innerhalb von Indien vertrieben. Eine große Zahl hat durch die Klimawandelfolgen jede Perspektive in der Landwirtschaft verloren und ist eher unfreiwillig in die Städte migriert. 2022 lebten noch 64 % aller Menschen auf dem Land, aber die Verstädterung wird in den kommenden Jahren rasant ansteigen. Dem Armuts-Bericht des UNDP von 2022 zufolge, der mit mehreren Indikatoren arbeitet, sind in Indien 230 Millionen Menschen arm.
Projektarbeit gegen die Unterernährung in Indiens Dörfern
Ökologische Landwirtschaft für bessere Ernährung
Vier indische Kleinbäuerinnen stellen sich vor
Die soziale Ungleichheit in Indien überlappt sich mit der Kastenordnung: So gibt es bei den ganz Armen einen hohen Anteil an Dalits („Gebrochene“; vor dem verfassungsrechtlichen Verbot 1950 „Unberührbare“ genannt), die außer- und unterhalb der 4 Hauptkasten (Varnas) stehen und immerhin 17 Prozent (240 Mio) der Gesamtbevölkerung stellen. In Deutschland werden sie oft ungenau als „Kastenlose“, in der indischen Verwaltungssprache als „Scheduled Castes“ bezeichnet. Denn diese Menschen gehören Kastengemeinschaften geringgeschätzter Berufe an. Zu diesen zählen z.B. Lederverarbeiter, Leichenverbrenner oder Toiletten- und Kanalreiniger. Die Menschen tragen entsprechende Namen, die ihre Zugehörigkeit durch Geburt ausdrücken. Die meisten wohlhabenden Inderinnen und Inder stammen aus den höheren Kasten, viele aus der obersten Kaste der Brahmanen. Zur Lage der "kastenlosen" Dalits in Indien
Eine ähnlich starke Diskriminierung erfahren die außerhalb der Hindugesellschaft stehenden rund 700 indigenen Gemeinschaften Indiens, auch Adivasi – „früheste Bewohner:innen“ – genannt. Auch sie gehören zu den Ärmsten der Armen und stellen mit rund 120 Mio Menschen 8,6 % der Bevölkerung.
Viele leben noch heute in abgelegenen Waldgebieten, kommen aber immer stärker durch Rohstoffabbau und Infrastrukturprojekte unter Druck und werden zum Teil von ihrem Land vertrieben. Zwar stellt die indische Verfassung Adivasigemeinschaften („Scheduled Tribes“ in der Verwaltungssprache) unter besonderen Schutz, schreibt die Bereitstellung von Finanzmitteln zu ihrer Förderung vor und garantiert ihnen Rechte auf ihr Land bzw die Mitsprache bei wirtschaftlichen Vorhaben, die ihr Land betreffen. Doch gerade wenn es z.B. um den Abbau wertvoller Rohstoffe wie z.B. Bauxit in den Gebieten der Indigenen geht, findet sich für staatliche und wirtschaftliche Akteure fast immer ein Weg, die Gesetze zum Schutz der Adivasi zu umgehen. Gesetze zum Schutz von Adivasiland werden ausgehebelt
Sehr gemischt ist die Bilanz für die Stellung der indischen Frauen. Dank einer starken Frauenbewegung seit den 1960/70er Jahren und vieler guter Gesetze gegen die Diskriminierung von Frauen und Gewalt sind viele sich heute eher ihrer Rechte bewusst und fordern diese ein. Auch bei der Bildung und Alphabetisierung haben Frauen in den vergangenen Jahren zugelegt.
Doch sie erleben durch den Aufschwung des Hindunationalismus eine Zementierung von Geschlechterrollen. Weiterhin sind sie in den Familien weniger Wert als ein Sohn bzw Mann, was sich in der Abtreibung weiblicher Föten und dem Fehlen von Frauen in der Gesellschaft niederschlägt. Die Daten der letzten Volkszählung 2011 (Census of India) zeigten ein Geschlechterverhältnis (Sexratio) von 945 Frauen zu 1000 Männern auf. Aktuell scheint sich das Verhältnis zu normalisieren. Das Nehmen und Geben von Mitgift ist seit 1961 gesetzlich verboten, wird aber weiterhin praktiziert. Das gleiche gilt für die ebenfalls gesetzlich verbotene Verheiratung von minderjährigen Mädchen. Mehr zu den Frauenrechten in Indien
Indien ist schon seit etlichen Jahren von verschobenen Niederschlagsmustern, häufigeren Zyklonen, Überschwemmungen und extremeren Hitzeperioden betroffen. Das ist für allem für die Landbewohnerinnen existenzbedrohend, weil die Ernten zurückgehen oder durch Dürren oder Wassermassen komplett vernichtet werden. Vielen bleibt in der Folge kein anderer Weg, als sich als Tagelöhner zu verdingen, temporär in die Städte abwandern oder sogar für immer zu migrieren - innerhalb Indiens oder ins Ausland.
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Arbeitsmigration in Jharkhand
Migrationserfahrungen in Odisha
Dass der Klimawandel vor allem das ländliche Indien so stark betrifft, ist hochgradig ungerecht. Indiens Landbewohnerinnen haben einen deutlich bescheideneren CO2-Fußabdruck als die Menschen in Indiens Städten und z.B. auch als wir Deutsche, die auf 8 Tonnen pro Kopf und Jahr kommen. Der Lebensstil der indischen Kleinbauern drückt damit auch den pro Kopf Durchschnitt von Indiens 1,4 Mrd Bevölkerung nach unten, so dass dieser bei noch klimaverträglichen 2 Tonnen im Jahr liegt.
Mehr zum CO2 Fußabdruck in Indien
Indische Stimmen zum Klimawandel
Aufgrund der gravierenden Armut der ländlichen Bevölkerung, der Ausgrenzung von Minderheiten und der Diskriminierung von Frauen hält die ASW, die seit ihrer Gründung im Jahr 1957 in Indien Basisgruppen fördert, auch heute ihre Stellung im „boomenden“ Schwellenland und fördert insbesondere Selbsthilfeansätze von Frauen, Dalits und Adivasi. Zu unserer Projektarbeit in Indien
Allerdings ist die Arbeit in den vergangenen Jahren auch schwieriger geworden.
Schon vor der Amtsübernahme durch die hindunationalistische BJP von Narendra Modi schränkte Indien die Arbeit von NROs ein – über die Kontrolle ihrer Finanzierung aus dem Ausland. Mit dem 2010 erlassenen „Foreign Contributions Regulation Act“ (FCRA) können Behörden seitdem missliebige Organisationen ohne Begründung auf einem scheinbar formal-korrekten Weg aktionsunfähig machen. Gruppen, die sich für die Verlierer des neoliberalen Modells und damit für gesellschaftliche Gerechtigkeit engagieren, wurden schon von der Kongress geführten Regierung zu „Entwicklungsfeinden“ erklärt.
Unter der Regierung von Narendra Modis hindunationalistischer BJP war die größte Demokratie der Welt seit 2014 immer mehr in Richtung Autoritarismus gesteuert. Restriktionen gegenüber der Zivilgesellschaft und besonders gegenüber international unterstützten NGOs haben weiter zugenommen.
2020 – im Windschatten von Corona – wurden die Regelungen für das Beziehen ausländischer Fördergelder nochmals verschärft, so dass auch die Indienarbeit der ASW neu ausgerichtet werden musste.
Zuletzt aktualisiert am 6. Juni 2024
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