Wie Ökoanbau in Indien Ernährung und Biodiversität sichert

Interview mit Durgadevi aus Tamil Nadu

ASW: In Indien wird fruchtbares Land u.a. durch den Klimawandel immer rarer. Wie sieht es in Ihrer Region aus?

Durgadevi: Die Situation wird auch bei uns immer schlimmer. Denn auf 90 Prozent der Felder wird Regenfeldbau betrieben. Die abnehmende Bodenfeuchtigkeit und Veränderungen der Niederschlagsmuster wirken sich direkt auf die Pflanzenproduktion aus. Der Ertrag heute ist rund 10 – 15 %  geringer als noch in den Vorjahren.
Niederschlagsschwankungen verkürzen auch die Wachstumsphase. Zum Beispiel ist bei Hirse der Zeitpunkt der Aussaat wichtig. Die Kulturen der Regenzeit sollten unmittelbar nach Beginn des Monsuns gesät werden. Aber wenn der Monsun unregelmäßig wird, erfolgt die Aussaat oft zu spät.

Auch zu lange anhaltende Regenfälle führen zu Ernteausfällen u.a. durch Fäulnis der Pflanzen. Unsere Moringa-Bauern hatten dieses Mal mit anhaltenden Regenfällen zu kämpfen. 20 % der Blütenknospen sind abgefallen.
 

Wie genau reagieren denn die Bäuerinnen  auf diese Situation?

Viele Landwirte entscheiden sich für die Pflanzen, für die Saatguthändler ihnen den höchsten Ertrag versprechen. Dadurch geht die Vielfalt der kultivierten Pflanzensorten stark zurück. Die traditionellen Anbaumuster sind zusammengebrochen.

Etwa 30 Prozent der Bauern unserer Gegend entscheiden sich für den Anbau von Jasminblüten, die schnelles Geld bringen. Die anderen praktizieren traditionelle Methoden des Anbaus von Nahrung, z.B. von Hirse, Gemüse und Obst. Einige erhielten von uns Schulungen zu ökologische Anbaumethoden.

 

Wie ist das Land aufgeteilt, wieviele Klein- und Großbäuer:innen gibt es?

Die meisten Landwirte in unserem Projektgebiet sind Klein- und Kleinst-Bauern, die zwischen 1 (1 Acre = 0,4 Hektar) und 3 Acre Ackerland besitzen. Doch kürzlich hat im Dorf Santhayur ein Großinvestor aus dem Nachbardistrikt 123 Acre (50 Hektar) in Besitz genommen. Er hat das Land von fast 20 Bauern gekauft, die infolge der Covid-Situation und Ernteverlusten aufgegeben haben.

 

Außerdem gibt es eine Bäuerin, die auf den Anbau von Zuckermais für die Viehfutterproduktion umgestiegen ist. Sie bewirtschaftet dafür 10 Acre Land und hat zu ihren 3 Acre 7 Acre von ihren Nachbarn dazu gepachtet.  Sie hat einen Vertrag mit einem Unternehmen, man gab ihr das Saatgut und die Düngemittel und versprach ihr, den Ertrag zu einem guten Preis abzunehmen. Mir sagte sie, dass sie selbst die Gewinnspanne nicht kenne, da sie dies zum ersten Mal tue.
Die anderen Bauern des Dorfes, mit denen ich sprach, finden es keine gute Idee, diese Art von Saatgut, das viel Dünger braucht, zu verwenden. Stattdessen rieten sie ihr dazu, einheimische Hirsesorten anbauen.
 

CENTREREDA fördert in ihrem Zielgebiet ökologischen Landbau. Wie überzeugen Sie die Bäuer*innen von den Vorteilen?

Anfangs hatten die Landwirte Schwierigkeiten, auf biologische Landwirtschaft umzustellen. Nur 20 % der Zielgruppen wollten die natürlichen Praktiken übernehmen.

Aber nach 5 – 6 Jahren haben sie die Veränderungen zwischen normalen und Biobetrieben in ihrem Dorf wahrgenommen. Die Böden verändern sich sichtbar und die Erträge steigen. Sobald die Bauern diesen Unterschied sehen, sind viele bereit, ihre Praxis auf natürliche Methoden umzustellen.

Sie erkundigen sich selbst und haben begonnen, in kleineren Teilen ihres Betriebs ökologischen Landbau zu erproben. In den meisten Dörfern sind das schon 60 % der Bäuer*innen, die zumindest teilweise ökologische Anbaumethoden praktizieren.

Insgesamt sind mehr Frauen an ökologischen Methoden interessiert als Männer. Fast 90 % der Frauen beteiligen sich an der natürlichen, traditionellen Art der Landwirtschaft.

 

Wie unterstützen Sie die Bauern beim Aufbau der Bodenfruchtbarkeit?

Die Landwirte wenden die Fruchtfolgemethode an, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und den Nährstoffgehalt zu erhöhen. Sie haben auch gelernt zu kompostieren.

In unserem Gebiet hat jeder Haushalt mindestens eine Ziege als Nutztier. Ziegenmist enthält wenig Feuchtigkeit, wenig Geruch und viel Nährstoffe. Wenn die Bauern eine größere Menge benötigen, empfehlen wir ihnen, sie vom benachbarten Bäuer*innen-Club (Village Farmer's Club) zu beziehen.

Auch der Mehrfachanbau ist eine gängige Praxis in unserer Gegend. 26 verschiedene Samen werden auf dem ausgelaugten Feld ausgesät. Nachdem sie gewachsen sind, werden die Pflanzen zum Mulchen verwendet. Auf diese Weise kann der Boden mehr Nährstoffe entwickeln.


Welche kollektiven Strukturen gibt es in Ihrem Projektansatz?

Der Zugang zu Saatgut und dessen Verteilung ist kollektiv geregelt. Auch das läuft über die Bäuer*innen-Clubs (Village Farmer's Club). Diese geben Saatgut an die Mitglieder mit der Auflage, das Saatgut in doppelter Menge zurückzugeben.

Außerdem unterhalten die Mitglieder des Bauernclubs ein Sparkonto bei einer örtlichen Bank. Unsere Mitarbeiter*innen überprüfen bei regelmäßigen Besuchen vor Ort diese Konten. Die Clubs verleihen ihre Ersparnisse bei Bedarf an die Gruppenmitglieder und entscheiden gemeinschaftlich, wer Geld bekommt. Sie wenden sich an den staatlichen Sektor, um über diese Gruppenkonten Agrarkredite zu erhalten.

Und es gibt auch noch einen gemeinschaftlich verwalteten Fonds, aus dem sich die Frauen nach Beratung untereinander Kredit geben. Bei dieser Vergabe müssen alle Frauen mit der jeweiligen Person und ihrer Kreditverwendung einverstanden sein.

Außerdem gibt es unseren Grünen Laden (Green Shop), über den das überschüssige Gemüse gemeinschaftlich vermarktet wird. Eine Person übernimmt die Verantwortung, die Ernte von den Bauern abzuholen und wöchentlich an den Gemüseladen zu liefern. Das Green-Shop-System spielt außerdem eine wichtige Rolle bei der Kommunikation mit anderen Mitgliedern des Farmer‘s Clubs. Wenn z.B. ein Mitglied Bedarf an Ziegendung hat, wird über den Shop gefragt, wer davon etwas übrig hat und bringt beide Personen zusammen.


Hat sich die Ernährungssituation in Ihren Dörfern verbessert?

Die Ernährungssituation in unseren Zieldörfern hat sich auf jeden Fall verbessert. Und auch die Ernährungsstile: Die weiblichen Mitglieder bereiten regelmäßig gesunde Hirse-Fladen zu.

CENTREREDA hat zuvor Schulungen durchgeführt, um das Bewusstsein für den Nährstoffgehalt der Hirse zu schärfen. Außerdem bauen die Menschen in ihren Nutrition Gardens nährstoffreiche Kräuter und Gemüse an.


Wie steht es um die Biodiversität? Haben sie Pflanzen- und Tierarten gesehen, die in die Dörfer zurückkehren?

Ja. Auf der Farm eines mit uns kooperierenden Bauern können wir den häufigen Besuch der seltenen Zibetkatze beobachten. Außerdem sehen wir immer mehr Sperlingsnester in den Biobetrieben. Spatzen spielen eine wichtige Rolle in der Nahrungskette, aber sie sind vom Aussterben bedroht.

Es gibt auch viele Heilpflanzen, die von selbst wieder wachsen, zum Beispiel Zitronengras.


Erlangen Kleinbäuerinnen, die ökologischen Landbau betreiben, ihre Familien besser ernähren und ihre Methoden an andere weitergeben, einen besseren Status? 
Die soziale und finanzielle Stellung der Frauen hat sich verbessert. Sie arbeiten den ganzen Tag, um ihre Anbaubedingungen zu verbessern. Schließlich haben sich ihr Pflanzenwachstum und die Qualität der Erträge verbessert. Die Frauen nehmen auch an den Sitzungen des Dorf-Panchayat-Komitees (Gemeindeversammlung) teil, um ihre Meinungen beizutragen. Und sie beteiligen sich auch an den Panchayat-Wahlen.


Was ist Ihre Vision für eine Landnutzung, die der Ernährung, der biologischen Vielfalt und dem Klimaschutz dient?

Als langfristige Vision sollte es in jedem Dorf mindestens eine sich selbst tragende Öko-Farm geben. Wenn z.B. Menschen aus einem Nachbardorf einen so integrierten Bauernhof sehen, versuchen sie meist, ein solches Modell auch in ihrem Dorf umzusetzen und so eine Klima- und Arten freundliche Umgebung zu schaffen.

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