Folgen des Klimawandels in Brasilien

Das Jahr 2023 in Amazonien und im Cerrado

 

Es ist 6 Uhr morgens in Santarém, einer Kleinstadt direkt am Amazonas, zwischen Manaus und dem Atlantik. Wie überall am Äquator geht die Sonne eigentlich immer um diese Zeit auf. Aber am 18. 11. 2023 verabschiedet sich die Nacht nur in ein vages grau. Sara Pereira von unserem Partner FASE ist so entsetzt, dass sie den merkwürdigen „Sonnenaufgang“ filmt und auf Facebook postet. Auch ich sehe mit Bestürzen zum ersten Mal auf der Wetter App: Santarém 27 Grad und Rauch! So sichtbar waren die Folgen des Klimawandels noch nie zuvor!

Im Oktober 2023 wurden bereits die niedrigsten jemals gemessenen Pegelstände am Amazonas registriert. Der Wassermangel hat in der Region zum Tod von vielen Fischen, Nahrungsknappheit und einer wirtschaftlichen Krise geführt.

Die historische Dürrekatastrophe, hohe Temperaturen, Mangel an Niederschlag und gepaart mit dem Klimaphänomen El Nino verursachen zunehmend Feuerausbrüche, die mangels Wasser schwerlich gelöscht werden können. Nicht alle Feuer brechen von alleine aus, einige Interessenten an „Neulandgewinnung“ für Sojaanbau und Viehzucht haben ebenso Brände gelegt. Die unter der Regierung Bolsonaro stark geschrumpften Umweltschutzinstitutionen sind längst noch nicht wieder so aufgebaut, dass sie den vielen Umweltsündern Einhalt gebieten könnten. Auch unsere Partnerinnen von AIPAPI im 350 km von Santarém entfernt gelegenen Ort Pinhel schicken uns erschreckende Berichte. Alle Dorfbewohner sind im Einsatz, um Schleusen zu schlagen, damit nahe des Dorfes ausgebrochene Feuer nicht die Häuser erreichen.


Wenn der Fluss als Verbindung zur Welt austrocknet

Amazonien ist eine der wasserreichsten Regionen der Welt. Alles Leben ist auf das Wasser abgestimmt, auch das der Menschen. Flüsse sind für sie Nahrungsquelle und Transportwege. Aber Ende 2023 sind tausende von Gemeinden von der Außenwelt abgeschnitten.

Statt in 20 Minuten zu Fuß und per Boot zur Kleinstadt Aveiro auf die andere Seite des Tapajos zu kommen, brauchen unsere Partnerinnen nun mehr als zwei Stunden. Der Wasserstand ist so niedrig, dass sie sich nun erst fast einen Kilometer zu Fuß durch den zurückgebliebenen Schlamm kämpfen müssen. Alten und Kranken ist es kaum möglich, das Dorf zu verlassen, und der Helikopter, der der die Gemeinden im Munizip Itaituba versorgt und den sich die indigenen Maytapu hart erkämpft haben, hat auch so schon einen viel zu großen Einzugsradius.

Nun brennt es im wahrsten Sinne des Wortes überall. „Die Augen fangen an zu tränen und viele der Bewohner:innen leiden unter Atemnot und Husten“, berichtet uns Ivete vom Frauenfond.

„Wir müssen sogar Wasser zum Trinken kaufen, weil das Flusswasser in Pfützen steht und das Regenwasser schlecht für unsere Gesundheit sein kann, weil so viel Rauch in der Luft liegt." In vielen Gemeinden erreichen die neu gebohrten Trinkwasserbrunnen nicht mehr die niedrigen Grundwasserreservoirs.

Viele Siedlungen sind jetzt auf Hilfslieferungen angewiesen. Essenspakete und Kanister mit Trinkwasser werden über wackelige Planken und Schlamm transportiert. Aber nicht alle Gemeinden erreicht die staatliche Unterstützung. Viele sind auf sich selbst gestellt. „ Wie gut, dass wir uns durch unseren agrarökologischen Anbau wenigstens mit Gemüse und Getreide versorgen können“, sagt Marta vom Frauenfond. „Aber unsere Überschüsse können wir nicht vermarkten, weil wir von hier nicht wegkommen.“ Vielerorts bleiben wegen der Trockenheit auch die erwarteten Ernten aus.

Aber das ist noch nicht alles. Die Zerstörung des Amazonasgebiets, das laut einem Bericht des Instituts für Mensch und Umwelt des Amazonasgebiets allein im Jahr 2022 10.573 km2 Wald durch Abholzung verloren hat, verringert die Fähigkeit des Bioms, Feuchtigkeit an andere Regionen weiterzugeben, wodurch die Regen- und Trockenzeiten im Amazonasgebiet selbst und im Rest des Kontinents aus dem Gleichgewicht geraten, was sich dann auch global auswirkt.


Amazonas versus Cerrado

Zwar sind unter der neuen brasilianischen Umweltministerin Marina Silva die Abholzungsraten für Amazonien gesunken – sie lagen z.B. im Juli 2023 um mehr als 60 % unter denen des Juni 2022. Doch viele Holzfäller weichen nun offenbar auf andere Regionen aus, zum Beispiel auf den ökologisch sensiblen und schon stark geschädigten Cerrado. Dessen Savannenwälder verzeichneten im gleichen Zeitraum von 2022 bis 2023 eine Abholzungszunahme von 16 %. Allein zwischen Januar und Mai 2023 wurden dort 3.320 km2 Waldfläche abgeholzt. Das entspricht fast der doppelten Fläche der Stadt São Paulo.


Eukalytusplantagen – eine Art grüner Wüste

Auf den gerodeten Flächen entstehen meist Soja- oder Eukalyptuspflanzungen, die im Cerrado schon seit zwei, drei Dekaden boomen. Eukalyptusmonokulturen wirken sich besonders nachteilig aus. Der Baum wächst schneller als andere Hölzer und hat einen extrem hohen Wasserverbrauch. Dadurch stören die Plantagen den Wasserhaushalt des Cerrado, dessen Aquifere normalerweise Wasser in die Flüsse einspeisen. Weitere Probleme sind Landnutzungskonflikte mit lokalen Gemeinschaften und der hohe Einsatz von Agrarchemikalien.

Eukalyptus ist vielfältig nutzbar als Rohstoff für Handwerk, Bau, Energieerzeugung, aber der Großteil der Eukalyptus-Produktion Brasiliens wird für die Zellstoffproduktion verwendet. Beim Export von Zellulose ist Brasilien mit 19,1 Mio. t (2022) vor Kanada (8 Mio. t) und den USA (6,8 Mio. t) Weltmarktführer. Allein der Export der weiter verarbeiteten Zellulose bringt Brasilien jedes Jahr rund 7 Mrd. Euro ein.


Der Klimawandel ist bereits sichtbar

„Die Entfernung einheimischer Vegetation erhöhte die Durchschnittstemperatur in einigen Regionen um 3,5 ° C und verringerte die potenzielle Evapotranspiration (Verdunstung) um 39 % bis 44 %. Dies zeigt, dass die umfangreiche Abholzung der Wälder im Cerrado für Weiden und Feldfrüchte Probleme für die Gesellschaft und auch für die Agrarindustrie selbst kreiert, die eigentlich das Problem verursacht hat“, sagt Ludmilla Aguiar von der Universität Brasilia. Die Durchschnittstemperatur des Bioms stieg laut Studien zwischen 1961 und 2019 um Werte zwischen 2,2 ° C und 4,0 ° C an, während die Niederschläge im gleichen Zeitraum um 15 % zurückgingen.


Zellulose und Pellets für Europa

Unser Partner Mayron Regis vom Forum Carajás hält die Ausweitung des Eukalyptusanbaus für eine Form von Klimakolonialismus, denn Brasilien bedient auch den Hunger Europas nach Pellets, hergestellt aus Eukalyptus. Und bedauerlicherweise spiele hier der Bundesstaat Maranhão mit: „Er hat in den letzten Jahren keine kollektiven Gebiete mehr für die Gemeinden des Cerrado ausgewiesen. Er weist Landstücke nur einzeln aus und begünstigt so den Landverkauf und die Landnahme durch Firmen wie Suzano“, beklagt Mayron. „Nur die Anerkennung von Gemeinden als traditionelle Gemeinschaften konnte in der Vergangenheit den Vormarsch von Eukalyptus- und Sojaanbau verhindern.“

Doch in der Klimadebatte gelten Eukalyptusanbau und -aufforstung immer noch als nachhaltig und so schreitet die zum Teil illegale Ausweitung der Anbauflächen und die Abholzung des Cerrado voran. Ein großer Akteur auf diesem Feld ist der Konzern Suzano, der bereits 2009 Tausende Hektar Cerrado vernichtet hatte. Derzeit hat er zahlreiche Klagen und 260 mögliche und wahrscheinliche Zivil- und Umweltverfahren am Laufen – sowie mehr als 2500 Verfahren vor Arbeitsgerichten. Die Vorwürfe reichen vom wahllosen Einsatz von Pestiziden, über Gewässerverschmutzung bis hin zu Landraub und dem Versäumnis, bei Infrastrukturprojekten die lokale Bevölkerung zu konsultieren. Aber Suzano verkauft sich gut und vor allem als nachhaltig und hat über gute ESG-Bewertungen Milliarden grüner Investitionsgelder erhalten. Mit sogenannten ESG-Ratings (Auszeichnung für gute Umwelt- und soziale Unternehmensführung) wird die Bonität von Firmen für mögliche Investoren eingeschätzt. 

Suzano hat bereits Milliardenbeträge von großen Investoren wie der französischen Bankengruppe Credit Agricole, dem staatlichen Pensionsfonds Norwegens oder dem niederländischen Pensionsfonds Zorg en Welzijn erhalten.

Solange die auch bei uns im Norden liegenden Ursachen für Waldzerstörung nicht angegangen werden und wir uns stattdessen an schwammige Nachhaltigkeitsstandards klammern, werden Suzano und andere weitermachen, bis der ganze Cerrado eine Agrarwüste ist. Die (Klima)Folgen werden weit über Brasilien hinausreichen.

Amazonaswald emittiert mehr CO2 als er speichert

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