14.10.2024 Die Auslagerung des europäischen Grenzregimes nach Nordafrika und in den Nahen Osten wird immer weiter vorangetrieben. Ohne jegliche Skrupel umwirbt die EU autoritäre Regime und stellt Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung in Aussicht, damit diese – z.B. Tunesien oder Marokko – im Gegenzug gegen die illegale Migration nach Europa vorgehen. Das Beispiel Tunesien
Dabei kennt Europa die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen in Nordafrika Tausende Asylsuchende interniert sind. Überfüllte Lager, das Fehlen von sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung sind der Normalfall. Menschen in diesen Lagern sind Opfer von Gewalt, Folter und Vergewaltigung. Eine Untersuchung der britischen Tageszeitung „The Guardian“ deckte auf, dass EU-Fördergelder, die eigentlich zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in Nordafrika gedacht waren, an Gruppen geflossen sind, die beschuldigt werden, für eben jene Menschenrechtsverstöße verantwortlich zu sein. Mehr dazu
Um das Bild dieser menschenfeindlichen Politik abzurunden: Illegale Pushbacks, Grenzzäune und gewalttätige Übergriffe gegen Migrant:innen, unterlassene Hilfeleistungen und die Kriminalisierung der Seenotrettung sind ein weiteres Gesicht des heutigen Europas.
Europas Asylreform - Was bleibt von der Menschenwürde?
Die am 11. Juni 2024 in Kraft getretene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beinhaltet z.B., dass an den EU-Außengrenzen nun alle Ankommenden gescreent und in Kategorien einsortiert werden. Bestimmte Flüchtlingsgruppen erhalten dann nur noch ein sogenanntes Asylgrenzverfahren, das in zwölf Wochen abgeschlossen sein soll. Zu diesen Gruppen zählen Menschen aus Ländern mit einer europaweit geringen Anerkennungsquote von unter 20 Prozent oder aus als „sicher“ eingestuften Herkunftsländern. Die 12 Wochen eines solchen Schnellverfahrens und die sich anschließende Zeit des Abschiebeverfahrens müssen Antragsteller und Familie unter Haftbedingungen in neuen "Asylzentren" an den Außengrenzen verbringen, völlig abgeschottet von der Außenwelt.
Der individuelle Anspruch auf Prüfung des Asylgesuches, ein Grundsatz der Genfer Flüchtlingskonvention, ist damit ausgehebelt.
Die Menschlichkeit zurückgewinnen
Dass rechte, rassistische Strömungen die Oberhand in der Flüchtlingspolitik gewonnen haben, ist Resultat einer seit vielen Jahren geführten Desinformation, Angstmacherei und Hetze. Diese ist nicht nur das Werk rechtsradikaler Gruppen, sondern ebenso Folge der Politik der eurozentristisch-neoliberalen Parteien der Mitte. Daher überrascht es wenig, dass auch die Ampelkoalition den verschärften europäischen Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems GEAS unter Beibehaltung des völlig gescheiterten Dublin-Abkommens zugestimmt hat. Befremdlich sind die Versuche von Außenministerin Baerbock und Innenministerin Faeser, die nun geplanten Lager zur konzentrierten Internierung von Geflüchteten außerhalb der EU-Grenzen als humanitären Erfolg zu verkaufen.
Menschlichkeit beginnt damit, dass Menschen im Vordergrund stehen. Im Falle der Migrationskrise die Motive und Gründe der einzelnen Menschen für Migration, Flucht oder Vertreibung zu ergründen, um diese zu verstehen. Verständnis ist der wichtigste Faktor zur Findung von humanitären Lösungen und um die Desinformation und Hetze der Eurozentriker:innen und Rechtsradikalen zu durchbrechen. Der Versuch Europas das persönliche Schicksal und das individuelle Asylrecht aufzulösen und abstrakte Gruppen von Migrant:innen („Kontingente“) zu schaffen ist der psychologische Nährboden für die Entmenschlichung des politischen Handelns, mit der zuvor beschriebenen Eskalation der Gewalt.
Wer sich mit den Menschen auf der Flucht weltweit beschäftigt, findet viele Bezugspunkte zu sich selbst und zur Geschichte Europas. Es eröffnet einen Blick in eine andere Welt, die uns hier allzu häufig völlig falsch dargestellt wird. Bei den Menschen auf der Flucht handelt es sich eben nicht um potentielle Kriminelle, die nichts anderes im Sinne haben, als die Festung Europa zu stürmen. Es sind Menschen die an Frieden, Demokratie, Freiheit und an ein gutes Leben für alle auf unserem Planeten glauben. Sie sind bereit, für diese Träume und das Überleben ihrer Familien vieles oder alles zu riskieren.
Einladung zum Nachdenken, Diskutieren, Handeln
In der Geschichte der ASW wurde der Begriff der „Weltnachbarschaft“ begründet. Wie der Name schon sagt, geht diese Idee davon aus, dass wir alle nähere und fernere Nachbar:innen auf unserem Planeten sind. Wer seine Nachbarschaft pauschal diskriminiert und grundlegende Rechte ignoriert und menschlichen Anstand vermissen lässt, wer seinen Nachbarn die Ressourcen klaut und Versprechungen bricht oder bewaffnet das Wohnzimmer nebenan stürmt, ist kein guter Nachbar. Wie können wir also zu einer Weltnachbarschaft kommen, in der Solidarität und Gemeinschaft vor Eigennutz, Ignoranz und Ausgrenzung stehen?
Wir laden alle ein, aktiv zu werden, sich zu informieren, zu diskutieren und im Sinne einer positiven Weltnachbarschaft zu handeln. Es lohnt sich, für die Rechte aller Menschen gemeinsam mit den Menschen aus dem Süden zu kämpfen! Rassismus und Faschismus in Europa jetzt stoppen!
Von Boubacar Diop und Tobias Zollenkopf
Sehr spannend ist auch das Buch von Olaf Bernau „Fluchtursachen Westafrika“. Eine Aufzeichnung seiner Buchvorstellung finden Sie hier:
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