Wir haben bei unseren Partnerorganisationen in Indien, Brasilien, Burkina Faso, Togo und Simbabwe nachgefragt, was aus ihrer Sicht auf globaler, nationaler und lokaler Ebene zur Bekämpfung des Klimawandels getan werden kann. Im Folgenden stellen wir ihre Prioritäten, Forderungen und Lösungsansätze vor.
Eine Antwort aus Indien unterstreicht die dringende Notwendigkeit, Lösungen zu finden: „Ich würde es lieber als Klimadesaster oder Klimakrise benennen anstatt bloß als Klimawandel“, so ein Adivasi-Aktivist. Die „unkontrollierte, massive Ausbeutung natürlicher Ressourcen (…) unter dem Banner von nationalem Interesse, Entwicklung und Wirtschaftswachstum“ muss aus seiner Sicht sofort gestoppt – und natürliche Ressourcen dürfen nur noch für die Erfüllung von Grundbedürfnissen genutzt werden. Sonst würden nur reiche Leute noch einige Jahre überleben, aber die Armen hätte keine andere Wahl, als zu verhungern.
(Klima-)Schuld eingestehen, Verantwortung übernehmen, entschädigen und umverteilen
Gefördert werden muss deshalb laut unseren Partnerorganisationen in Brasilien und Indien, dass sich Verbrauchsgewohnheiten und Bewusstsein in den sogenannten entwickelten, reichen und dichtbesiedelten Ländern ändern, da diese von den Auswirkungen ihrer CO2-intensive Lebensweise bisher wenig zu spüren bekämen.
Viele Menschen seien mehr Umweltgefahren ausgesetzt, „die im Wesentlichen von Gruppen verursacht werden, die nur auf Profit aus sind“, benennt ein Partner aus Simbabwe diese Klimaungerechtigkeit und fordert, dass die Profiteure „die betroffenen Menschen entschädigen.“
Aus Kamerun werden dafür konkrete Schritte formuliert: „Die Welt muss zunächst akzeptieren, dass es eine klimatische Ungerechtigkeit gibt. Und dann müssen Unternehmen und große Firmen Verantwortung für ihren CO2-Ausstoß bzw. Emissionen übernehmen. Außerdem sollten Klimaflüchtlinge berücksichtigt werden.“
Schädliche Produktionssysteme politisch sanktionieren und begrenzen
Dass die Wurzel des Problems große, meist multinationale Unternehmen und Industriebetriebe sind und diese zur Rechenschaft gezogen werden müssen, wird von vielen Partner*innen geteilt.
„Internationale Umweltabkommen müssen über einen Mechanismus verfügen, damit die Länder diese Abkommen einhalten und die Umweltverschmutzung durch die Großindustrie der reichsten Länder reduzieren können“, findet eine brasilianische Partnerorganisation, die wie viele andere eine konsequente rechtliche und politische Durchsetzung globaler und nationaler Vereinbarungen als notwendig erachtet.
Verpflichtende Unternehmensverantwortung und Klimafonds, um gegenwärtig und zukünftig am stärksten betroffene Länder und Gesellschaftsgruppen zu finanzieren, werden zudem als Lösungswege genannt. Aus Burkina Faso wird uns eine konkrete Forderung übermittelt: „Führen Sie ein sozialeres Produktionssystem ein, erheben Sie Steuern von den Verschmutzern und zahlen Sie sie an diejenigen zurück, die am meisten unter den katastrophalen Folgen leiden. Wir fordern Rechenschaftspflicht und Sanktionen für Unternehmen, die sich schuldig gemacht haben“.
Radikal zu Ende denkt dies ein Partner aus Simbabwe: „Meiner Ansicht nach sollten alle Unternehmen und Branchen, die in hohem Maße zur Gefährdung und Verschlechterung der Umwelt beitragen, vom Betrieb ausgeschlossen werden, es sei denn, sie zahlen zufriedenstellende Entschädigungen und ihre Pläne sind umweltfreundlich und ‚bewohnerfreundlich‘“. Gerade dieser letzte Punkt zeigt: es geht um mehr als um das „Polluter Pay Principle“ finanzieller Entschädigung durch die Verursacher*innen – es geht auch um einen anderen Umgang mit Umwelt und Menschen.
Verantwortung für Natur und Mensch, statt Verluste und Verdrängung
Aus unseren Interviews geht klar hervor, wie viel den Menschen im Globalen Süden bereits vor der Klimakrise genommen wurde. Betont wird vor allem der Verlust von Wäldern, aber auch von Land, Wasser, natürlichen Lebensgrundlagen, kulturellen Identitäten und Lebensweisen. So ist die Klimakrise nur als Spitze des Eisberges zu lesen. Darunter liegen „Jahrhunderte grenzenloser Plünderei natürlicher Ressourcen durch ein nicht nachhaltiges, koloniales und kapitalistisches Modell, von energieintensiver Produktion, extravagantem Konsum und Lebensweisen einer privilegierten Minderheit“, wie es eine Menschenrechtlerin aus Indien ausdrückt.
Im Sinne einer Wiederherstellung des Verlorenen fordern Partner*innen nicht nur Respekt und Verantwortung für „Mutter Erde“ und alle Lebewesen, sondern auch ganz konkret einen Lebensunterhalt ohne Entbehrungen, Enteignungen oder Verdrängung – ob diese nun staatlich, wirtschaftlich oder klimatisch bedingt sind. Kooperationen von Staat und Unternehmen, die trotz solcher Probleme vorgeben, nationalen Interessen und Entwicklung zu dienen, stellen sich unsere Gesprächspartner*innen entgegen.
Widerstand gegen ein Entwicklungsmodell
So wird von indischen Partner*innen beklagt, dass die Regierung natürliche Wälder dem Ressourcenabbau und der Industrialisierung opfert und indigene Gemeinschaften aus ihren historischen Siedlungsgebieten vertreibt. Brasilianische Partner*innen fordern einen politischen Wechsel, da die jetzige Regierung die Zerstörung des größten Waldreservats der Welt durch Unternehmen nicht verhindert und damit auch „den einzigartigen Reichtum der ursprünglichen Völker bedroht“.
Gegen diese politischen und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen sehen sie „Lebensprojekte dieser Bevölkerungen als eine Möglichkeit, den Modellen der Entwicklungsprojekte der Hauptstadt entgegenzuwirken“. Auch von einem indigenen Aktivisten aus Indien hören wir einen solchen Lösungsansatz: „Es muss einen klaren Wechsel des Entwicklungsparadigmas geben. Wir sollten ein naturbasiertes oder naturzentriertes Entwicklungsmodell annehmen, statt eines menschenzentrierten.“ Und auch eine Partnerin aus Burkina Faso warnt davor, „in die Fußstapfen der westlichen Industrien in ihren unangemessenen Methoden zu treten“.
Indigene und innovative Methoden für neue Entwicklungswege
Ein indischer Partner sieht den Klimawandel deshalb sogar als eine Chance für sein Land: „Wir müssen nicht dem Weg des Konsumstrebens folgen, den die entwickelten Länder gegangen sind. Wir könnten Technologien für einen Sprung auf unserem Entwicklungsweg nutzen, ohne von fossilen Energien abhängig sein zu müssen. Solar- und Windtechnologien haben es in den letzten 20-30 Jahren weit gebracht.“
Insgesamt stehen „saubere“, „grüne“, „erneuerbare“ Energieträger ganz oben auf der Liste von Lösungen unserer Gesprächspartner*innen. Wissenschaftliche und technologische Innovationen funktionierten aber nur als Ergänzungen von und in Synthese mit indigenem und Gemeindewissen nachhaltig, befindet eine NGO, die in Indien mit indigenen Adivasi-Gemeinschaften zusammenarbeitet. Aus lokal verwurzelten Wissensbeständen und Praktiken ließen sich eher praktikable Lösungen finden, um Klimawandelfolgen die Stirn zu bieten und Alternativen für die Eindämmung des Klimawandels zu finden. Zu solchen Lösungen gehören zum Beispiel Landwirtschaft mit traditionellem Saatgut und natürlichem Dünger – eben (Lebensmittel-)Produktion, ohne der Natur zu schaden, wie es Landarbeiter*innen aus Brasilien ausdrücken und viele unserer Gesprächspartner*innen als politisch förderungswürdig ansehen.
Durch Beteiligung in Gemeinschaften Veränderung ermöglichen
Vom eigenen Umfeld bis hin zur nationalen und globalen Ebene hat auch das Pflanzen von Bäumen und der Schutz der Wälder eine hohe Priorität bei den Befragten. Ein globaler Null-Abholzungspakt wird ebenso vorgeschlagen wie nationale Baumpflanztage und die lokale Einbindung möglichst aller Menschen, zum Beispiel durch Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme Arbeitsloser im Waldschutz. Auch darüber hinausgehend wird die lokale Sensibilisierung, Bildung und Stärkung von Kapazitäten als zentral angesehen, um Handlungsfähigkeit und Umweltschutz zu stärken: etwa durch gemeinschaftliche Organisation von nachhaltiger Abfallentsorgung, geregelter Holzernte oder alternativen Wertschöpfungsketten, die lokalen Gemeinschaften direkt zu Gute kommen.
An Bedarf und Betroffenheit von Gemeinschaften orientiert
„Der erste Schritt besteht darin, die Menschen für eine Verhaltensänderung zu sensibilisieren und sie einzuladen, Umweltaktivisten zu werden“, so eine Projektpartnerin aus Burkina Faso. Solche Sensibilisierung und Einladung stellen sich unsere Partner*innen eben nicht „top down“ durch Implementation von Klimaschutzmaßnahmen vor, sondern „bottom up“ an Bedarf und Betroffenheit von Gemeinschaften und Individuen orientiert.
So werden vielfach sogenannte „vulnerability assessments“ vorgeschlagen, welche auch innerhalb von Ländern und Gemeinden die am stärksten Betroffenen und ihren Unterstützungsbedarf identifizieren und Menschen in ihren Lebensrealitäten sichtbar machen sollen. Das gilt für bereits stark betroffene Regionen wie Küstengebiete in Togo genauso wie jeden Ort, jede Gemeinschaft, jedes Dorf, jeden Bezirk, wie ein indischer Aktivist meint: Menschen sollten zusammenkommen und diskutieren, wie sie lokal vom Klimawandel betroffen sind/sein werden, wie sie sich dagegen aufstellen und gegenseitig unterstützen können und selbstorganisierte Gruppen für ihre Anliegen bilden – insbesondere unter Einbeziehung von Frauen, Kindern, älteren und behinderten Menschen.
Einladen, zuhören, Lösungen finden
In Indien ist mit dem System der Gemeindeselbstverwaltung (Panchayat Raj) ein Grundstein dafür gelegt, erklärt Rukmini Rao vom CWS, der wichtigsten indischen ASW-Partnerorganisation. Jetzt sei dessen partizipative Umsetzung gefragt. „Inklusives Planen, das marginalisierte Gemeinschaften wie Dalits, Adivasis und Frauen miteinbezieht, ist dabei essentiell.“ Und was auf lokaler Ebene essentiell ist, gilt auch darüber hinaus, wie eine Dalit-Vertreterin betont: „Globale Bemühungen müssen sicherstellen, dass die Stimmen der unterdrückten und risikotragenden Bevölkerungen durch politische Programme, Finanzierung und öffentliche Berichterstattung eingeladen, gehört und beantwortet werden.“
Und damit bringt sie eine Botschaft auf den Punkt, die uns unsere Gesprächspartner*innen aus drei von der Klimakrise schon stark betroffenen Kontinenten mit ihren gelebten Herausforderungen und Lösungen mit auf den Weg geben.
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