Sahrauische Frauen - Kämpferinnen für die Selbstbestimmung

Die ASW unterstützt seit 2010 immer wieder Projekte in Solidarität mit den Sahrauis, den eigentlichen Bewohner:innen der Westsahara. „Eigentlich“, weil das Land nach spanischer Kolonialherrschaft 1975 von Marokko völkerrechtswidrig besetzt und mit Marokka - ner:innen besiedelt wurde.
Nach erbitterten Kämpfen der sahrauischen Freiheitsbewegung Frente POLISARIO erst gegen die spanischen, dann gegen die marokkanischen Besatzer, ist das Land nun durch einen Sandwall in befreites und besetztes Gebiet geteilt. Der westliche, fruchtbare und ressourcenreiche Teil steht unter marokkanischer Herrschaft. Der unwirtliche, von Sand- und Geröllwüste gezeichnete Teil ist unter sahrauischer Kontrolle. Während der Kämpfe flohen viele Familien, hauptsächlich Alte, Frauen und Kinder ins benachbarte Algerien, wo sie seither in Flüchtlingscamps leben – autonom verwaltet und mitten in der Wüste.
Dieser Hintergrund ist wichtig für das Verständnis der Entwicklung der Frauenrechte in der sahrauischen Gesellschaft. Sie ist immer im Kontext des Konflikts um die Selbstbestimmung und dem damit einhergehenden Freiheitskampf zu betrachten.

Der Nutzen des männerfreien Alltags

Vor der Sesshaftwerdung in Zeiten der spanischen Kolonialherrschaft waren die Sahrauis Beduin:innen, zum Großteil mit ihrem Vieh umherziehende No ma - d:innen. Die Rollenverteilung war weitestgehend „traditionell“. Die Männer hüteten das Vieh, während die Frauen für die Organisation des Alltags und das Großziehen der Kinder zuständig waren. Ihnen gehörte der gesamte „Hausstand“, also das Beduinenzelt, die Khaima, mitsamt allen Habseligkeiten. Der zumeist männerfreie Alltag hat das Selbstbewusstsein sahrauischer Frauen positiv beeinflusst und stand als Gegenpol zum patriarchalischen System. Daraus entwickelte sich eine Stärke, die in Zeiten der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Marokko zum Vorteil genutzt werden konnte.

Mitwirkung am Befreiungskrieg

Durch den gewaltsamen Konflikt konnten sahrauische Frauen wieder am öffentlichen Leben teilhaben, nachdem sie in der spanischen Kolonialzeit zunehmend in die Hausfrauenrolle gedrängt worden waren. Neben dem Schmuggeln von Waffen standen sie als Teil der Frente POLISARIO dieser hilfreich zur Seite, indem sie die Versorgung und Unterschlüpfe organisierten und ab 1976 im algerischen Exil nahe der Stadt Tindouf den Lageraufbau für die Geflüchteten übernahmen. Sie errichteten die Versorgungs- und Infrastruktur sowie ein funktionierendes Bildungssystem, in dem sowohl Mädchen, Jungen als auch Erwachsene beider Geschlechter unterrichtet wurden und werden.

Die Nationale Frauenunion

Bereits 1974 gründete sich als Fundament für die sahrauische Frauenbewegung und als Frauenflügel der Frente POLISARIO die UNMS (Unión Nacional de Mujeres Saharauis, deutsch: Nationale Union der Sahrauischen Frauen). Ihre Mitglieder sind mittlerweile sahrauische Frauen aus den besetzten Gebieten, den Flüchtlingscamps, den befreiten Gebieten und der sahrauischen Diaspora in Deutschland, Spanien, Mauretanien und Frankreich. Ihnen ist es zu verdanken, dass sich Situation sahrauischer Frauen spürbar verbessert hat. Sie stellen sogar 35% der Führungsebene der DARS (Demokratischen Arabischen Republik), der sahrauischen Exilregierung, die 1976 von Vertreter:innen der Frente POLISARIO ausgerufen wurde.

 

Die UNMS ist vor allem in den saharauischen Flüchtlingslagern aktiv, wo sie eine starke Kraft innerhalb der POLISARIO und der sahrauischen Republik ist. Sie ist international tätig, um die Unterstützung der sahrauischen Frauen und der sahrauischen Sache zu organisieren, setzt sich aber auch für die Rechte der Frauen innerhalb der Exilgemeinschaft und bei politischen Entscheidungen ein. Sahrauische Frauen sollen und wollen gleichberechtigt mit den Männern sein und stereotype Frauenbilder in ihrer Gesellschaft aufbrechen. Darum ermutigt UNMS die Frauen, Plätze in allen Bereichen in Politik und Gesellschaft einzunehmen.

Konkret sensibilisiert sie sahrauische Frauen in ihrer Rolle im Kampf für die Befreiung und Unabhängigkeit der Westsahara. Dazu gehört auch die Verbesserung ihres Bildungs- und Ausbildungsniveaus, was sowohl Alphabetisierungskampagnen, schulische und berufliche Ausbildung und politische Seminare beinhaltet. Eine wichtige Rolle spielt auch die Solidaritätsarbeit mit in den besetzten Gebieten lebenden Sahrauis, die ständig mit der marokkanischen Aggression konfrontiert sind und Opfer von Diskriminierung und Gewalt werden. Dank sozialer Medien gestaltet sich das Kontakthalten mittlerweile einfacher.

Wichtige internationale Vernetzungen

Seit ihrer Gründung hat die UNMS daran gearbeitet, nachhaltige nationale, regionale und internationale Partnerschaften zu finden, um ihre Ziele zu erreichen und ihr Fachwissen weiter zu entwickeln. Sie ist u. a. Mitglied der Afrikanischen Dekade und der regionalen demokratischen Allianz der Frauen aus dem Nahen Osten und Nordafrika.

Diese und andere Partnerschaften basieren auf politischem Aktivismus sowie Aufklärung und zielen darauf ab, ein Bewusstsein für die Besetzung der Westsahara und das Leiden der sahrauischen Bevölkerung zu schaffen. Aber sie wollen auch die humanitäre Arbeit in den saharauischen Flüchtlingslagern verbessern.

Die gegenwärtigen Bedingungen, wie die Rückkehr zum bewaffneten Kampf und die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben dazu geführt, dass die Arbeit der Organisation mit echten Schwierigkeiten konfrontiert ist, da die Finanzierung und die Ausbildungsarbeit zurückgegangen sind. Außerdem wurden einige Programme wie die Überwachung der Bildungssituation auf dem Lande eingestellt. Was die Flüchtlingslager betrifft, so hat die Pandemie dazu geführt, dass der Kontakt zu einigen Partnern nur langsam zustande kam.

Die neue „Genderschule“

Doch wo sich eine Tür schließt, öffnet sich auch eine andere: Schon im März 2020, also zu Beginn der Corona-Pandemie haben sahrauische Frauen eine „Genderschule“ gegründet. Diese findet ausschließlich online statt, wodurch die Teilnahme aus allen Teilen der Welt möglich ist – den Flüchtlingscamps, den besetzten Gebieten, der Diaspora. Referentinnen sprechen dann einmal im Monat beispielsweise über Gleichberechtigung, die Geschichte des Feminismus oder Frauen-Quoten und es wird viel diskutiert. Ein großes Thema ist auch die Rolle von Frauen in bewaffneten Konflikten und vor allem im darauf folgenden Frieden. Denn die sahrauischen Frauen wollen nicht mehr aus ihren Positionen im öffentlichen Raum gedrängt werden und die lang erprobte Gleichberechtigung einst in ihrer befreiten Westsahara leben.

Von Jadiya Mohamed Sidi und Franziska Kohlhoff

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Wir haben bei der Geschlechtergerechtigkeit viel erreicht

Die sahrauische Aktivistin Sofi Mohamed Maarouf zur Frauenfrage

 

Sofi Mohamed Maarouf lebt in Smara, einem der fünf sahrauischen Flüchtlingscamps beim algerischen Tindouf. Sie ist Mitglied der Frauengruppe Hijas de Saguia y el Rio, die mit ASW-Unterstützung versucht, für sahrauische Frauen einkommensschaffende Maßnahmen zu generieren und auch mit öffentlichen Protestaktionen mehr Aufmerksamkeit für die Situation der Sahrauis zu erreichen.

Bei der Bildung, so Sofi, sind Frauen in der sahrauischen Gesellschaft weitestgehend gleichberechtigt – vor allem in den Flüchtlingscamps. Als diese errichtet wurden, hatte es hohe Priorität, dass die Frauen Schulen gründen durften, um an erster Stelle alle Menschen vor Ort alphabetisieren zu können. So gehen bis heute alle Kinder in den Camps in mit deutschen Grundschulen vergleichbare Schulen. Weiterführende Schulen können dann in Algerien und teilweise Kuba besucht werden. Danach studieren viele Frauen in diesen Ländern. Die jungen Menschen leben während dieser Zeit in einer Art betreutem Wohnen, bei dem sie mit allem Notwendigen versorgt werden. Das sahrauische Bildungsministerium koordiniert und finanziert alles.


Nach Sofi haben sahrauische Frauen deshalb die gleichen Berufschancen wie die Männer, nur gibt es in den Flüchtlingslagern kaum Job-Perspektiven. Wenn Frauen einer Arbeit nachgehen, dann sind sie meist Ärztinnen, Krankenschwestern, Erzieherinnen oder habe Positionen im Parlament oder einem der Ministerien der DARS inne.

Ob sich die Geburtenrate in den letzten Jahren verändert hat, ist schwer auszumachen. Fest steht, dass die Versorgungslage in den Flüchtlingscamps unzureichend ist. Die Menschen sind bis auf wenige kleine Ausnahmen, wie den Familiengärten der ASW, auf internationale Hilfslieferungen angewiesen. Mit der Zunahme von bewaffneten Konflikten, der Klimakrise und in Folge der Corona-Pandemie gehen die Lieferungen allerdings schon seit Jahren zurück. An ausgewogene Ernährung ist nicht zu denken. Gerade Kinder und schwangere Frauen leiden unter dieser Situation und es kommt häufig zu Anämien.

Was allerdings beobachtet werden kann, ist ein steigendes Heiratsalter bei sahrauischen Frauen. Früher lag dieses bei 17/18 Jahren. Heute absolvieren viele sahrauische Frauen erst ihr Abitur und danach noch oft ein Studium, weshalb sie erst später im Schnitt von 25 Jahren heiraten und Kinder bekommen.

Beim Thema Gewalt gegen Frauen zeigt sich laut Sofi kein einheitliches Bild. In den Flüchtlingscamps scheint es diese kaum zu geben, wohingegen die sahrauischen Frauen in den besetzten Gebieten massiver Gewalt durch marokkanische Besatzer ausgesetzt sind. Folter und Polizeigewalt seien dort an der Tagesordnung. Immer wieder verschwinden Menschen – Männer wie Frauen – für lange Zeit und kehren manchmal gar nicht mehr zurück.

Was alle Sahrauis eint, ist auch aus diesem Grund der Kampf um die Freiheit und um Selbstbestimmung, damit sie alle ein Leben in Freiheit und Würde genießen können.