Frauenrechte in Indien und der Kampf gegen Gewalt und Diskriminierung

Indien kommt immer wieder in die Schlagzeilen, wenn in einer indischen Stadt eine Frau vergewaltigt wurde und empörte Menschen gegen Gewalt und Diskriminierung auf die Straße gehen. Was allerdings den Frauen im ländlichen Indien an Gewalt zugefügt wird, schafft es nicht so leicht in die Medien. Zu wenig wird auch über positive Entwicklungen und Neuerungen berichtet, die Indiens Frauenbewegung sowie zahlreiche Frauennetzwerke und Frauen-NGOs an der Basis in den letzten 50 Jahren erkämpft haben.


Partizipation und Rechte: Indische Frauen haben Zugang zu Gemeindeämtern

Dank des jahrelangen Kampfes von Frauen, die sich in der Frauenbewegung und in städtischen und ländlichen Frauennetzwerken engagieren, gibt es im heutigen Indien eine Vielzahl guter Gesetze. Sie schützen Frauen vor Diskriminierung und Gewalt und eröffnen ihnen die Teilhabe an Bildung und Entscheidungen. So gibt es z.B. gibt Quotenregelungen, die die Partizipation von Frauen in der Gemeindeverwaltung sichern. Und im September 2023 haben beide Parlamentskammern eine Frauenquote beschlossen, die für das Unterhaus und die Parlamente der indischen Bundesstaaten jeden 3. Sitz für Frauen reservieren soll.

Insgesamt ist - auch auf Seiten der Regierung - das Bewusstsein dafür gewachsen, dass Frauen Rechte haben. Für Frauen bedeutet das, nicht mehr als Bittstellerinnen aktiv werden zu müssen, sondern einzufordern, was ihnen zusteht.

Die Umsetzung von neuen Regelungen erweist sich allerdings als zäh. Daher sind auch hier die Zusammenschlüsse von Frauen gefragt, in ihrem Engagement nicht nachzulassen. Regierungsbehörden auf allen Ebenen brauchen den Druck von der Basis, um die Gesetze Realität werden zu lassen.


Bildung und Alphabetisierung

Als gemischt stufen Frauenrechtlerinnen die Fortschritte bei der Bildung ein. Die Einschulung von Mädchen in Grundschulen ist gestiegen, doch die Zahl der Schul-Abbrecherinnen ist nach wie vor hoch. Frauenrechtlerinnen wie Dr. V. Rukmini Rao beklagen die nach wie vor niedrige Alphabetisierungrate bei den Frauen, die landesweit 2016 bei 59,3 Prozent, 2018 bei 66 und 2021 bei 70,3 Prozent lag. Siehe Interview


Heirat, Mitgift und Abtreibung weiblicher Föten

Als zählebig erweist sich die tief in der Hindu-Gesellschaft verankerte patriarchale Geringschätzung der indischen Frau. Der Tradition zufolge hat eine Frau nur dann einen Wert, wenn sie einen Sohn geboren hat. Und für ihre Verheiratung muss eine Familie tief in die Tasche greifen, um die zwar verbotene, aber immer noch praktizierte Mitgift an die Bräutigams-Familie bereitzustellen. Dies ist mit ein Grund dafür, dass die meisten Familien sich Söhne wünschen und viele sogar bereit sind, ungeborene Mädchen (nach pränataler Geschlechtsbestimmung) abzutreiben. In der Folge kommen derzeit auf 1000 neugeborene Jungen nur 929 Mädchen (Zahlen von 2019-21. Frische Daten werden von dem coronabedingt auf Ende 2024 verschobenen Census of India erwartet).


Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt gegen Frauen ist in Indien wie fast in jedem Land der Welt ein großes Thema. Aber ihr wirkliches Ausmaß ist schwer einzuschätzen, weil nur wenige Frauen Misshandlungen in der Familie auch zur Anzeige bringen. Ein neues Gesetz gegen häusliche Gewalt hat seit 2006 immerhin etwas Abhilfe geschaffen.

Dennoch ist in jüngster Zeit - bereits vor der Coronapandemie - die häusliche Gewalt gegen Frauen wieder angestiegen. Durch die Lockdowns ist sie nochmals nach oben gesprungen - u.a. aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Frauen, das Haus zu verlassen und durch die Konkurrenz zwischen (zurückgekehrten) Männern und Frauen um rare Jobs als Tagelöhnerinnen in den Dörfern.
Detailseite zu häuslicher Gewalt:


Vergewaltigung nach Strafrechtsreform noch strenger geahndet

Bei der juristischen Verfolgung von Vergewaltigungen wurden Fortschritte erzielt. 2012, nach städtischen Protesten im Gefolge einer Gruppenvergewaltigung und auf Druck der Frauenbewegung reformierte Indien im März 2013 die Strafrechtsparagraphen zu Sexualverbrechen und weitete z.B. die Definition von Vergewaltigung im Sinne des Opfers aus.  Auch wurde das Strafmaß für Vergewaltigung erhöht.
 
Seit Juli 2024 hat Indien nun ein neues Strafgesetzbuch, das den Penal Code von 1860 ersetzt. Einige Bestimmungen bringen eindeutige Verbesserungen für Frauen und Gewaltopfer. Der Strafrahmen für Vergewaltigung wird nochmals erweitert und kann in besonders schweren Fällen auch lebenslänglich bedeuten. Für die Gruppenvergewaltigung einer Frau unter 18 Jahren (und Lynchmord durch einen Mob) kann es sogar Todesstrafe geben. Ein Sprung nach vorn ist die Möglichkeit für Gewaltopfer, Anzeigen künftig online aufzugeben. So können sich vor allem Frauen aus gesellschaftlich benachteiligten Gemeinschaften, wie Dalits, erniedrigende Kommentare auf Polizeiwachen ersparen. 

Doch Vergewaltigung in der Ehe bleibt weiterhin ausgenommen (wie übrigens in Deutschland bis 1997), sofern beide Ehepartner erwachsen sind. Zur Verhinderung der eigentlich schon lange verbotenen Kinderehen und Ehen unter 18 Jahren wird aber nun der Vergewaltigungstatbestand ins Spiel gebracht. 


Auswirkungen des Klimawandels auf Indiens Frauen

Auch in Indien sind Frauen unverhältnismäßig stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Um z.B. Nahrung, Wasser und Brennstoffe für die Haushalte zu sichern, sind sie auf natürliche Ressourcen angewiesen, die bereits jetzt schon geschädigt sind und in Zeiten von Naturkatastrophen z.T. komplett ausfallen. Oft werden auch einfach nur die Wege zu den rareren Wasserquellen länger.

Frauen stellen die Mehrheit der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Aber diese ist besonders anfällig für den Klimawandel. Frauen verlieren dann oft ihre Arbeitsplätze oder die komplette Lebensgrundlage, sofern der Acker der Familie geschädigt wird. Trotz ihres Wissens und in ihrer Erfahrung verfügen sie weiterhin nur über sehr begrenzte Landbesitzrechte und minimale finanzielle Ressourcen, was sie bei der Abschwächung klimabedingter Krisen benachteiligt.

Viele Familien werden aufgrund des Verlustes ihrer Lebensgrundlage auch zur Migration gezwungen. In solchen Familien investieren Frauen mehr Arbeitszeit in elementare Dinge wie Essen kochen, Wasser beschaffen, sich um Kinder und ältere Menschen kümmern, Hausarbeit usw.
Die Arbeitsbelastung steigt besonders für Bäuerinnen, wenn nur die Männer migrieren. Frauen bleiben dann mit der kompletten Verantwortung für Haus, Hof und Familie zurück. Ihre Arbeit in der Landwirtschaft ist dann einfach eine Erweiterung ihrer Hausarbeit.
Es kommt in solchen Situationen auch zu einer Zunahme von frühen Eheschließungen und sexuellem Missbrauch von Frauen und Mädchen.


Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden Frauen während und nach extremen Wetterereignissen auch unter einer höheren Sterblichkeit und einem stärkeren Rückgang der Lebenserwartung als Männer. Die höhere Sterblichkeit direkt durch Katastrophen erklärt sich auch daraus, dass Frauen auf dem Land einen eingeschränkteren Zugang zu Informationen und Frühwarnungen haben als Männer.


Diskriminierung und Gewalt durch Angehörige höherer Kasten

Die Situation indischer Frauen ist komplex und widersprüchlich: Durch Kasten-, religiöse und soziale Diskriminierung wird ihre Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oft noch verstärkt. Besonders die Frauen der benachteiligten kastenlosen Dalit-Gemeinschaften haben jederzeit mit Erniedrigung und (männlicher) Gewalt zu rechnen. Selbst bei Anzeige einer Vergewaltigung müssen sie davon ausgehen, auf der Polizeiwache weitere Demütigungen zu erfahren. 

Indischen Frauen-Organisationen und ihre Unterstützer:innen haben durch ihre mutigen Kämpfe schon viel erreicht. Bis zur völligen Gleichstellung der Frauen und der Gewährung aller Frauenrechte ist aber noch ein Stück Weg zu gehen.

Die indische Feministin Rukmini Rao über die mutigen Kämpfe der Frauen

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Mit diesen Projekten stärkt die ASW die Frauenrechte in Indien