Der Senegal ist ein vergleichsweise stabiles Land und galt lange als die Vorzeigedemokratie Westafrikas. Doch Präsidenten, die sich an die Macht klammern und mit harter Repression auf Forderungen der Opposition antworten, haben das Bild in letzter Zeit getrübt.
Die Jugend hat die Demokratie belebt
Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven
Der CFA - Regionalwährung von Frankreichs Gnaden
Landwirtschaft und Landgrabbing
Frauen und Frauenrechte im Senegal
Islam im Senegal: Sufibruderschaften und erstarkende Salafisten
2012 wurde der damalige Präsident Abdoulaye Wade nach einer erfolgreichen Massenmobilisation durch Bündnisse wie „Y'en a marre“ und „M23" (Mouvement du 23 juin) gegen dessen nicht verfassungskonforme dritte Kandidatur abgewählt. Doch sein Nachfolger Macky Sall, der 2012 als großer Hoffnungsträger der mehrheitlich jungen Protestierenden galt, hat nach zwei Amtszeiten nicht weniger enttäuscht. Auch er wollte zunächst für eine dritte Amtszeit kandidieren, hat sich dann aber nach Massendemonstrationen wiederum meist junger Senegales:innen zurückgezogen. Bei den Protesten kam es auch zu Toten.
Bereits im Juni 2023 ließen 9 Protestierende ihr Leben, als sie gegen die Verhaftung des Oppositionspolitikers Ousmane Sonko auf die Straße gingen.
Doch trotz der Verhaftung des Spitzenpolitikers Sonko und dem Verbot seiner Partei PASTEF war die neue Bewegung erfolgreich. Ex-PASTEF Generalsekretär Bassirou Diomaye Faye ging als Vertreter eines neuen Parteienbündnisses in die schließlich Ende März 2024 abgehaltende Präsidentschaftswahl und siegte. Er wurde bereits im ersten Wahlgang mit 54,28 Prozent der Stimmen gewählt.
Vor allem junge Senegales:innen erhoffen sich nun von seinem Parteienbündnis einen grundlegenden Wandel. Dazu gehört vorrangig, den Senegal aus den halbkolonialen Abhängigkeiten von Frankreich herauszuführen. Das könnte auch auf einen Ausstieg aus der von Frankreichs Zentralbank kontrollierten westafrikanischen Regionalwährung CFA-Franc hinauslaufen.
Außerdem hat die Regierung angekündigt, die Verträge zwischen dem Staat und den multinationalen Unternehmen in den Bereichen Bergbau, Gas und Öl neu zu verhandeln. Laut Faye laufen die Verhandlungen bereits. Er will dabei bessere Konditionen und mehr Einnahmen für den Senegal herausholen.
Fayes Partei PASTEF ist nun auch aus den Parlamentswahlen am 17. November 2024 als Sieger hervorgegangen. Damit kann Faye mit seiner Arbeit nun richtig loslegen. Die Erwartungen an den bislang jüngsten Präsidenten, den der Senegal bis heute hatte, sind enorm hoch. Mehr zur Lage nach den Parlamentswahlen
Bereits seit 2022 waren zahlreiche junge Menschen gegen das Regime von Macky Sall auf die Straße gegangen. Sie waren nicht nur unzufrieden über dessen Umgang mit der Opposition, sondern auch über seine Wirtschaftspolitik. Denn die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch und wird auf 43 Prozent geschätzt. Zudem fehlt es im Senegal an Schulen und qualifizierten Lehrer:innen, mit der Folge zu großer Klassen und einem niedrigen Unterrichtsniveau . Dabei ist zu berücksichtigen, dass 39,2 Prozent aller Senegales:innen unter 18 Jahre sind und 75% der Gesamtbevölkerung jünger als 35 Jahre. Außerdem hat Macky Sall viele der großen Versprechen, die zu einer Wahl im Jahr 2012 beigetragen haben, nicht eingehalten. Das gilt z.B. auch für die Korruptionsbekämpfung.
Während der Amtszeit Macky Salls von 2012 bis Anfang 2024 wurden von unabhängigen Kontrollorganen wie OFNAC (Office Nationale de Lutte contre la Fraude et la Corruption), IGE (Inspection Générale d’Ètat) und dem Rechnungshof enorme Skandale im Umgang mit öffentlichen Geldern festgestellt, in die auch Mitglieder seiner Koalition BBY (Benno Bokk Yakkar) verwickelt waren. Es wurde jedoch kein Gerichtsverfahren eingeleitet, um die Verantwortlichkeiten zu klären.
Eine der ersten Amtshandlungen von Präsident Diomaye Faye bestand im Mai 2024 folglich darin, dass er von den staatlichen Kontrollorganen die Veröffentlichung aller Berichte verlangte, die sie über die Verwaltung der Ministerien, der Direktionen und der staatlichen Agenturen erstellt hatten. Diese Berichte waren jahrelang geheim gehalten worden, da sie bestimmte Würdenträger des Regimes von Macky Sall an den Pranger stellten.
Der neue Justizminister Ousmane Diagne verspricht, dass die Personen, deren Amtsführung nicht den Gesetzen und Vorschriften entsprach, strafrechtlich verfolgt werden.
Die Wirtschaft des Senegal verzeichnete 2023 eine niedrige Wachstumsrate von 4,1 Prozent, für die die Vorgängerregierung exogene Faktoren wie die Covidpandemie und gestiegene Rohstoffpreise in Folge des Ukrainekriegs verantwortlich gemacht hatte. Vermutlich war die Setzung falscher Prioritäten der wichtigere Faktor. Unter Macky Sall konzentrierten sich die Ausgaben auf große Luxusinfrastrukturen wie den Bau einer neuen Stadt in Diamnadio, eine Schnellbahntrasse zur Anbindung der Retortenstadt an Dakar (Kosten: 780 Milliarden CFA, 1,2 Mrd Euro für nur 35 km), ein neues Stadion oder den Kauf eines neuen Präsidialflugzeugs. Diese „Projekte“ haben vor allem multinationale Unternehmen und Teile der nationalen Elite reich gemacht. Einige Wirtschaftswissenschaftler wie Ndongo Samba Sylla sprechen von einer „extravertierten Wirtschaft“, was meint, dass es ein mageres Wirtschaftswachstum gibt und dieses nicht der lokalen Bevölkerung zugutekommt.
Es wird von internationalen Unternehmen in den Bereichen Telekommunikation, Banken und Industrie getragen. Diese Unternehmen repatriieren ihre Gewinne problemlos in Muttergesellschaften, die sich außerhalb des Landes befinden.
Senegals Handelsbilanz bleibt defizitär. Nahrungsmittel werden zu 70 % Prozent importiert. 49% der importierten Waren kommen aus Europa.
Die Regierung von Diomaye Faye will die Abhängigkeit des Senegal von Importen reduzieren, indem er die lokale landwirtschaftliche Produktion stärkt. Auf seiner Agenda steht auch eine konsequentere Besteuerung von nationalen und multinationalen Unternehmen, um mehr Mittel für die Entwicklungsfinanzierung zu generieren.
Zu den Economic Partnership Agreements, EPAs, zwischen der EU und Westafrika
Der seit 1960 unabhängige Senegal geriet erstmals in den 1970/80ern in eine Notlage, als u.a. durch die damaligen Ölpreisschocks die Schulden exorbitante Dimensionen erreichten. IWF, Weltbank und Gläubiger zwangen Senegal (wie auch andere hochverschuldete "Entwicklungsländer") zu Strukturanpassungsprogrammen. Unternehmen des öffentlichen Sektors wie Elektrizität, Telekommunikation und Wasserversorgung wurden privatisiert und der Staat fuhr seine Ausgaben für Bildung und Gesundheit herunter.
Die verordneten Sparmaßnahmen haben der Gesellschaft geschadet, und der Schuldenstand blieb dennoch hoch. Vor allem haben sie den Aufbau einheimischer Wirtschaftskreisläufe verhindert, weil vor allem Devisen für den Schuldendienst erwirtschaftet werden sollten. Zum Beispiel durch die Exporte von Rohstoffen. Wertschöpfungsketten, die vor Ort Arbeitsplätze schaffen, sind dadurch nicht entstanden.
Der im Februar 2024 im Präsidentenamt abgelöste Macky Sall hat seiner Nachfolger-Regierung eine Staatsverschuldung in Höhe von mindestens 72,2 % des BIP hinterlassen. Eine Schätzung der neuen Regierung geht sogar von 83 % des BIP aus.
Dramatisch daran: Senegal gibt mehr Geld für die Schuldentilgung aus als für Investitionen in die gesellschaftlich wichtigen Bereiche Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft usw.
Von Senegals Gläubigern sind mehr als die Hälfte öffentliche Geber, mehrheitlich multilateral wie Weltbank und IWF oder einzelne Staaten. Dazu kommen ca 45 % Anleihen oder Kredite von Banken und anderen privaten Gläubigern. Von den bilateralen Gläubigern sind China und Frankreich die wichtigsten.
Senegal ist Mitglied der Währungsunion UEMOA (8 Mitglieder) und verwendet zusammen mit den anderen 13 Mitgliedsstaaten der Franc-Zone die Kolonialwährung Franc CFA. Trotz gelegentlicher Reformen ist diese Währung immer noch ein koloniales Relikt, das die Währungssouveränität der Mitgliedsstaaten einschränkt. Die monetäre Abhängigkeit von Frankreich verstärkt auch die wirtschaftliche Abhängigkeit.
Der CFA wurde geschaffen, um französischen Unternehmen die Kapitalrepatriierung zu erleichtern und den Zugang zu billigen Rohstoffen in Afrika zu ermöglichen. Diese Logik gilt noch heute. Seine Existenz verdankt der CFA dem schwachen politischen Willen der Regierungen der Mitgliedsländer und der Beamten der Zentralbanken in West- und Zentralafrika. Durch das Währungsprojekt "eco" hofften die Menschen bereits auf das Ende des CFA im Jahr 2020, doch die Einführung dieser neuen westafrikanischen Währung, die den CFA ersetzen sollte, wurde immer wieder verschoben.
Die großen Gas- und Ölfunde vor der senegalesischen Atlantikküste (Saint Louis, Kayar, Rufisques) wecken einerseits Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, andererseits befürchten viele Beobachter das Syndrom des „Ölfluchs“ (La malédiction du pétrole). Denn nur selten brachte die Entdeckung von Kohlenwasserstoffvorkommen in afrikanischen Ländern wirtschaftlichem Fortschritt, weil der Rohstoffsektor nicht mit vor- oder nachgelagerten Wirtschaftssektoren verkoppelt ist und die Einnahmen daher keine wirtschaftlichen Impulse in die Breite senden. Der Oppositionsführer Ousmane Sonko wies bereits 2017 in seinem Buch "Pétroles et gaz du Sénégal chronique d'une spoliation" auf zahlreiche Skandale beim Abschluss von Gasverträgen hin, in die auch der Bruder des derzeitigen Präsidenten Macky Sall verwickelt ist. Zivilgesellschaftliche Organisationen und einige vom Klimawandel Betroffene warnen überdies vor den negativen sozialen und ökologischen Risiken der Öl- und Gasförderung an der Küste von Saint Louis. Diese nimmt z.B. auch die neue ASW-Partnerorganisation RAPEN in den Blick, die mit anderen Umweltgruppen vernetzt ist.
55 Prozent der Bevölkerung Senegals leben noch auf dem Land und 49 % der Haushalte arbeiten in der Landwirtschaft. Insgesamt trägt der Agrarsektor nur 9,2% zum BIP bei (Agence Nationale de la Statistique et de la Démographie, ANSD).
Die Landwirtschaft ist von Kleinbäuerinnen geprägt, diese erhielten aber von den Regierungen des Senegal nur wenig Unterstützung. Seit der neoliberalen Wende in den 2000er Jahren unter Adoulwaye Wade werden sie noch deutlicher gegenüber dem Agrarbusiness benachteiligt. Der Staat verfolgt das Ziel, Flächen zur Verbesserung der Produktivität erschließen zu lassen und vergibt seitdem große Flächen auch an private Investoren zur Bewirtschaftung – auf Kosten der lokalen kleinen Familienbetriebe. 265 258 Hektar sind bereits in den Händen internationaler Firmen, die das Land für die Produktion von Agrotreibstoff (Jatropha 77% der erworbenen Fläche) und für den Anbau von Nahrungsmitteln nutzen. Im Umland der Städte, vor allem in der Großregion Dakar, steigt der Druck auf landwirtschaftliche Flächen auch durch den Immobilienboom.
Doch es gibt Widerstand: In Ndiael, im Norden des Senegal nahe der Grenze zu Mauretanien, haben sich 40 Dörfer gegen die Vergabe von 46.550 Hektar Land durch den Staat an einen rumänischen Investor organisiert. Mehr zum Landgrabbing im Senegal
Für weitere Landkonflikte sorgt der Goldabbau im Senegal. Vor allem in der Region Kédougou im Grenzgebiet zu Mali und Guinea hat der Staat große Bergbaukonzessionen an internationale Bergbauunternehmen vergeben. Die Gebiete sind riesig und umfassen teils ganze Dörfer. Meist sind es nicht die Menschen vor Ort, die profitieren. Viele lokale Kleinbauern verlieren mit ihren Feldern auch ihre Existenzgrundlage. Mehr zum Goldabbau im Senegal
Diomaye Faye arbeitet an Verbesserungen für die Landwirtschaft und verspricht, die Landunsicherheit der Kleinbauern durch tiefgreifende Reformen des Bodenrechts zu brechen. Für die aktuelle landwirtschaftliche Saison (Juli - Dezember 2024 ) wurden den Landwirten bereits umfangreiche Mittel (Saatgut, Dünger, Geräte) zur Verfügung gestellt. Dazu hat die Regierung in Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsministerium und den dezentralen Behörden wie Gouverneuren und Präfekten ein Kontrollsystem für die Verteilung der Produktionsmittel eingeführt. Denn in der Vergangenheit kamen viele der vom Staat zur Verfügung gestellten Mittel nicht bei den Bauern an. Sie wurden oft von Lokalregierungen bzw lokalen Beamten abgezweigt und auf dem Markt weiterverkauft.
Zu dem Druck auf ihr traditionell genutztes Land kommen für Senegals Kleinbäuerinnen neue Herausforderungen hinzu. Seit einigen Jahrzehnten haben sie mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen, vor allem mit unregelmäßigen Niederschlägen und zu kurzen Regenzeiten, wodurch die landwirtschaftlichen Produktionszyklen von Aussaat und Ernte durcheinanderkommen und das Pflanzenwachstum beeinträchtigt wird. Auch Dürren und Überschwemmungen sind häufiger geworden, und diese können komplette Ernten vernichten.
In der Folge können zahlreiche kleinbäuerliche Familien nicht mehr von der Landwirtschaft alleine leben, viele migrieren zeitweise oder temporär in Senegals Städte oder nach Europa.
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Islam im Senegal: Sufibruderschaften und erstarkende Salafisten
Senegalesischer Historiker zur Mitverantwortung afrikanischer Eliten im Sklavenhandel
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